OLG Düsseldorf: Auch bei Rahmenvereinbarungen Schätzung des Auftragswerts über alle Gebietslose


23.10.2020: Wie ist der Auftragswert bei einer Rahmenvereinbarung zu ermitteln, die sich über mehrere Gebietslose erstreckt?

Sachverhalt:
Ein AG schreibt pro Gewerk Rahmenvereinbarungen für Instandsetzungsmaßnahmen seiner Liegenschaften in Gebietslosen aus. Für Malerarbeiten werden insgesamt 6,7 Mio. investiert. Ein Bieter darf für max. 5 Lose ein Angebot abgeben, wodurch in der Summe der EU-Schwellenwert nicht überschritten werden kann. In einem Nachprüfungsverfahren wird dem AG ein Verfahrensfehler nachgewiesen. Der AG will mit einer sofortigen Beschwerde erreichen, dass das Nachprüfungsverfahren wegen Unterschreitung des Schwellenwertes für unzulässig erklärt wird. Er argumentiert, dass durch die Angebotslimitierung kein Bieter den EU-Schwellenwert erreichen könne, das Gleiche gelte auch, weil die Ausführungsorte weit auseinander lägen und kein funktionaler Zusammenhang zwischen den Losen eines Gewerks bestehe.

Beschluss:
Für die Auftragswertberechnung stellt auch das OLG Düsseldorf auf die ständige Rechtsprechung des EuGH ab, der konsequent den funktionalen Zusammenhang der zu vergebenden Leistungen prüft, d.h. die Leistungen müssen einen technisch und wirtschaftlich einheitlichen Charakter aufweisen.

In einer Entscheidung des EuGHs von 29.05.2013 Az: Rs. T-384/10 bspw. diente die Betrachtung des funktionalen Zusammenhangs dazu, alle Anlagenteile eines einheitlichen Bauwerks zu ermitteln, die über eine Region mit dem Ziel der Verbesserung der Wasserqualität verteilt waren und deren Auftragswerte zu addieren waren. Das Leistungsziel ist folglich zuerst zu identifizieren, dann kann der Umfang der zu addieren Auftragswerte auch sicher ermittelt werden.

In der Entscheidung des OLG geht es nicht um den Auftragswert für ein Gesamtbauwerk, das erstellt oder saniert werden soll, sondern auch um die Betrachtung von Sanierungsmaßnahmen an verschiedenen Objekten und Orten, die jede für sich lokal betrachtet bereits einen Zweck erreicht. Ausgeschrieben wurden hier Bauleistungen eines Gewerkes in mehreren Losen. Das OLG stellt auch hier maßgeblich darauf ab, ob zwischen den Leistungen der Gebietslose ein funktionaler Zusammenhang besteht, d. h. die Leistungen einen technisch und wirtschaftlich einheitlichen Charakter aufweisen. Das bejaht das OLG, sodass alle Lose des Gewerkes zu addieren waren. Die Loslimitierung auf fünf Lose spielt daher für die Berechnung des Auftragswerts keine Rolle. Da die Summe aller Auftragswerte bereits über dem EU-Schwellenwertes lag, war der Nachprüfungsantrag zulässig. Da der Auftraggeber hier durch die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung (RV) mit einer einzigen Bekanntmachung sein Leistungsziel offenkundig darin sieht, den Sanierungsbedarf seiner Liegenschaften zeitnah über einen längeren Zeitraum zu decken, ist von einem funktionalen Zusammenhang aller Lose des gleichen Gewerks auszugehen. Alternativ hätte es vieler Einzelausschreibungen bedurft. Sein Leistungsziel kann der Auftraggeber durch die RV mit Gebietslosen effizienter umsetzen. Wenn die zeitnahe Beschaffung dieser Leistungen über einen längeren Zeitraum aber sein eigentliches Leistungsziel ausmacht, müssen auch sämtliche Auftragswerte für die Lose eines Gewerkes unabhängig vom Leistungsort addiert werden.

Nach Auffassung des OLG spricht vieles dafür, dass auch alle Lose der anderen Gewerke zu addieren sind. Das war aber nicht Gegenstand des Nachprüfungsantrags (obiter dictum). Maßgeblich könnte dafür sein, dass auch die anderen Gewerke ebenso dem vom Auftraggeber angestrebten Leistungsziel dienen, erforderliche Instandsetzungsarbeiten an seinen Liegenschaften zeitnah und über einen längeren Zeitraum beauftragen zu können.

Praxistipp:
Bei der Berechnung des Auftragswertes ist größte Sorgfalt zu empfehlen. Zunächst ist das Beschaffungsziel zu ermitteln, das sozusagen die Klammer der zu addierenden Leistungen bildet. Darüber gelingt es dann, den sog. „funktionalen Zusammenhang“ der auszuschreibenden Leistungen bei unterschiedlichsten Sachverhalten sicher zu ermitteln. Fehler in der Auftragswertberechnung können Auftraggeber mehrfach unangenehm einholen, nicht nur bei der Auswahl des richtigen Verfahrens, auch bei der Auskömmlichkeitsprüfung oder dem Wunsch, das Verfahren aufzuheben.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2020 (Az.: Verg 40/19)
 

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