VK Thüringen: Bestimmte, kritische Aufgaben sind vom Bieter selbst zu erbringen – nicht von Nachunternehmern


22.06.2020: Der Auftraggeber kann in den Vergabeunterlagen vorgeben, dass bestimmte kritische Aufgaben direkt vom Bieter bzw. späteren Auftragnehmer selbst ausgeführt werden müssen.

Sachverhalt:

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Postdienstleistungen europaweit im offenen Verfahren aus und forderte von den Bietern, dass diese ausschließlich im Bereich der Postdienstleistungen tätig sind und den ausgeschriebenen Leistungsumfang mit eigenen Mitarbeitern erfüllen. Der Auftragnehmer ist nicht berechtigt, die Erfüllung der ausgeschriebenen Leistungen, auch in Teilen, Dritten zu übertragen. Bieter A rügte den generellen Ausschluss von Nachunternehmerschaften. Der Rüge wurde seitens des Auftraggebers mit Verweis auf § 47 Abs. 5 VgV nicht abgeholfen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass „bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungsaufträgen [...] direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen“. A ging damit vor die zuständige Vergabekammer.

Beschluss:

Mit Erfolg! Das ausnahmslose Verbot des Einsatzes von Unterauftragnehmern verstoße gegen Vergaberecht. Auch die Voraussetzungen eines ausnahmsweise erlaubten Selbstausführungsgebotes für „bestimmte kritische Aufgaben“ gemäß § 47 Abs. 5 VgV, auf die sich der Auftraggeber berief, können ein grundsätzliches Verbot nicht rechtfertigen. Der Auftraggeber definiere die Gesamtheit der zu vergebenen Postdienstleistungen als „kritische Aufgabe“ im Sinne des § 47 Abs. 5 VgV. Mit „bestimmten“ kritischen Aufgaben könnten allerdings nur Teilleistungen eines Vertrages gemeint sein, nie jedoch der gesamte Vertrag. Es sei vergaberechtlich nicht zulässig, wenn die in § 36 VgV vorgesehene, grundsätzliche Möglichkeit, Nachunternehmer zu berücksichtigen, durch die Ausnahmeregelung des § 47 Abs. 5 VgV unterlaufen würde.

Praxistipp:

"Kritisch" in diesem Sinne sind Leistungen, die entweder besonders fehleranfällig oder für den Leistungserfolg von besonderer Bedeutung sind. Was genau damit gemeint ist, ist in den gesetzlichen Grundlagen nicht näher definiert. Es gibt aber durchaus Meinungen, die aufgrund der Richtlinienvorschrift, welche keine konkrete Begrenzung des Leistungsumfangs enthält, in entsprechenden Ausnahmefällen auch der überwiegende Teil oder die gesamte Leistung dem Selbstausführungsgebot unterstellt werden kann.

VK Thüringen, Beschluss vom 19.12.2019, Az: 250-4003-15326/2019-E-010-G
 

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