BGH: Eine rechtswidrige Verfahrensaufhebung kann teuer werden!‎


Hebt ein öffentlicher Auftraggeber ein Vergabeverfahren ohne Vorliegen eines Aufhebungsgrundes auf, kann der Zuschlagsbieter einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses - also des entgangenen Gewinns - haben.

Sachverhalt:
Die Klägerin nahm an einer Bauausschreibung der Beklagten teil und gab das günstigste Angebot für die schlüsselfertige Errichtung eines Mehrfamilienhauses zur Unterbringung von Flüchtlingen ab. Die Parteien vereinbarten, die Angebotsbindefrist zu verlängern. Einer weiteren Bindefristverlängerung stimmte die Klägerin jedoch nicht zu. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Ausschreibung werde wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs aufgehoben. Drei Monate später forderte die Beklagte die Klägerin auf, ein Angebot zur schlüsselfertigen Errichtung eines Mehrfamilienhauses abzugeben. Der Aufforderung zugrunde lag ein Bauprojekt in derselben Lage und mit dem gleichen Leistungsverzeichnis wie bei der ersten Ausschreibung. Da die Klägerin dieses Mal nicht das günstigste Angebot abgegeben hatte, erhielt ein Dritter den Zuschlag.

Die Klägerin nahm die Beklagte auf Zahlung von entgangenem Gewinn in Höhe von 53.900 Euro, der Kosten der Angebotserstellung von 2.630,17 Euro und des Entgelts für die Angebotsunterlagen von 150 Euro zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 150 Euro für die Angebotsunterlagen nebst Zinsen und anteiliger vorprozessualer Rechtsanwaltskosten verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 49.957,24 Euro verurteilt. Davon entfallen 48.600,24 Euro auf entgangenen Gewinn, 1.206,30 Euro auf Kosten für die Erstellung des Angebots und 150 Euro auf die bereits vom Landgericht zuerkannten Kosten für Angebotsunterlagen. Zudem hat das Berufungsgericht Zinsen und Rechtsanwaltskosten zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision beim BGH, mit der die Beklagte weiterhin die Klageabweisung erstrebt.

Urteil:
Zwar hatte die Beklagte mit ihrer Revision vorliegenden Fall Erfolg, weil das Berufungsgericht nach Auffassung des BGH keine Tatsachen festgestellt habe, die die Annahme tragen könnten, dass die Beklagte die Ausschreibung aufgehoben habe, um den Auftrag an einen bestimmten Bieter vergeben zu können.

Der BGH hat in seiner Entscheidung in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns dann in Betracht kommt, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot er bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein hätte erteilt werden dürfen. Dem Abschluss eines Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter sei es gleichzustellen, wenn der öffentliche Auftraggeber ein wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis dadurch herbeiführt, dass er die Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, und den Auftrag außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder in einem weiteren Vergabeverfahren an einen Bieter vergibt, an den der Auftrag nach dem Ergebnis des aufgehobenen wettbewerblichen Verfahrens nicht hätte vergeben werden dürfen. Voraussetzung hierfür sei es, dass der später vergebene Auftrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft und die Auftragsvergabe einem Zuschlag im aufgehobenen Vergabeverfahren an einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter gleichzustellen ist. Dies sei namentlich der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren nicht - im Hinblick auf die Vergabe an den Bieter mit dem annehmbarsten Angebot - aus sachlichen und willkürfreien Gründen aufgehoben hat, sondern um den Auftrag  in einem Folgeverfahren an einen anderen Bieter vergeben zu können.

Praxistipp:
Eine Ausschreibung darf nur aus den in § 17 VOB/A-EU, § 17 VOB/A, § 63 VgV und § 48 UVgO genannten Gründen aufgehoben werden. Dabei muss der öffentliche Auftraggeber das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausüben und aus Beweisgründen im Vergabevermerk nachvollziehbar dokumentieren. Übt er sein Ermessen fehlerhaft aus, etwa weil er ein Verfahren vorsätzlich ohne Vorliegen eines anerkannten Aufhebungsgrundes aufhebt, kann er zum Ersatz des entgangenen Gewinns des eigentlichen Bestbieters verpflichtet sein.

BGH, Urteil vom 08.12.2020 – XIII ZR 19/19

 

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