OLG Celle: Der Zuschlag auf ein Angebot ist trotz abgelaufener Bindefrist möglich


25.05.2020: Erklärt ein Bieter die Zustimmung zur Bindefristverlängerung nicht, ist ein allein auf diese Begründung gestützter Ausschluss unzulässig. Der Auftraggeber kann unter Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts sogar dazu gehalten sein, den Zuschlag auf ein Angebot nach Ablauf der Bindefrist zu erteilen.

Sachverhalt:
Die Vergabestelle schrieb im April 2019 europaweit im offenen Verfahren einen Auftrag über die Lieferung von Materialien und Logistik für den Breitbandausbau aus. Der Lieferauftrag war in Lose unterteilt, die Bindefrist lief ursprünglich bis zum 30.07.2019. Für die Lieferungen waren nach den Leistungsverzeichnissen Festpreise anzubieten. Mehrere Bieter wurden durch die Vergabestelle mit Schreiben vom 10.07.2019 zur Nachreichung von Unterlagen aufgefordert. Am 22.07.2019 erfolgte die Einstellung einer Nachricht der Vergabestelle auf der elektronischen Vergabeplattform mit dem Betreff „Verlängerung der Bindefrist“. Die spätere Antragstellerin reichte am 24.07.2019 die nachgeforderten Unterlagen ein, ohne jedoch die Bindefristverlängerung eindeutig zu bestätigen. Die Vergabestelle teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.09.2019 mit, dass der Ausschluss ihres Angebots erfolgt sei. Der Ausschluss wurde auf die nicht übersandte Zustimmung zur Bindefristverlängerung gestützt. Der erhobenen Rüge, mit welcher auch die Zustimmung zur Bindefristverlängerung – datiert auf den 29. Juli 2019 – überreicht wurde, half die Antragsgegnerin nicht ab.

Der hierauf gestellte Nachprüfungsantrag wurde durch die Vergabekammer zurückgewiesen. Die Vergabestelle sei gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2, 4 VgV verpflichtet gewesen das Angebot auszuschließen, da die Aufforderung zur Verlängerung der Bindefrist nicht erfüllt wurde. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.

 

Beschluss:
Mit Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Der Ausschluss der Angebote der Antragstellerin konnte nicht mit der bloßen Begründung erfolgen, sie seien infolge der nicht verlängerten Bindefrist erloschen. Ein unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten erloschenes Angebot führt nicht dazu, dass dieses auch vergaberechtlich hinfällig ist. Obwohl die Bindefrist abgelaufen ist, ist der öffentliche Auftraggeber nicht daran gehindert den Zuschlag auf dieses Angebot zu erteilen. Vielmehr kann der dazu unter Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts sogar gehalten sein. Es ist mit den haushaltsrechtlichen Bindungen, denen der Auftraggeber unterliegt, regelmäßig unvereinbar das wirtschaftlichste Angebot von der Wertung mit der Begründung auszuschließen, der Zuschlag könne nicht mehr durch einfache Annahmeerklärung erteilt werden (u.a. BGH, Urteil vom 28.10.2003, X ZR 248/02).

Eine Berechtigung für die Antragsgegnerin, die Angebote der Antragstellerin wegen Ablaufs der Bindefrist auszuschließen, ergibt sich nach Ansicht des OLG Celle auch nicht daraus, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in Vergabeverfahren dadurch verletzt wird, dass die Angebote der Antragstellerin im Vergabeverfahren verbleiben. Die Rechte der Mitbewerber werden hierdurch nicht beeinträchtigt. Die Beigeladenen hatten der Verlängerung der Bindefrist bis zum 30.09.2019 und somit der Fortgeltung ihrer Preise bis zu diesem Zeitpunkt zugestimmt. Die durch die Erhebung einer Rüge und Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens entstandene Verzögerung, mit welcher in jedem Vergabeverfahren gerechnet werden muss, führt nicht dazu, dass die Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Davon ausgehend, dass eine verzögerte Vergabe stets Mehrvergütungsansprüche des erfolgreichen Bieters auslösen könnte, müssten diese ebenso bei den übrigen Bietern entstehen. Eine Auftragserteilung an die Antragstellerin – jedenfalls bei entsprechender Formulierung des von der Antragsgegnerin ausgehenden neuen Angebots – kann nur zu den Konditionen des ursprünglichen Angebots erfolgen. Den übrigen Bietern entstehen nach Auffassung des OLG Celle daraus keine (weiteren) Nachteile.

Praxistipp:
Den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit folgend mag es sinnvoll und gerechtfertigt sein, Angebote auch ohne Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist nicht vom Vergabeverfahren auszuschließen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Bieter, die einer Bindefristverlängerung zugestimmt haben, an ihr Angebot gebunden sind, während der Bieter, dessen Zustimmung nicht vorliegt, hingegen die Freiheit hat, unter Berücksichtigung seiner Auftragslage die Annahme des neuen Angebots anzunehmen oder abzulehnen. Ob die unterlegenen Bieter – und hier insbesondere der zweitplatzierte Bieter – den Gleichbehandlungsgrundsatz unter derartigen Umständen gewahrt sehen, erscheint fraglich.

OLG Celle, Beschluss vom 30.01.2020, Az.: 13 Verg 14/19
 

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