VK Bund: Grundsatz der Losvergabe – wann ist eine Ausnahme möglich?

Nach § 97 Abs. 4 GWB hat der öffentliche Auftraggeber eine Interessenabwägung zu der Frage vorzunehmen, inwieweit auftragsbezogene wirtschaftliche und technische Gründe es erfordern, von einer Bildung von Fach- oder Teillosen abzusehen.

 

Sachverhalt:

In einem EU-weiten Verfahren ausgeschrieben war der "Versand von Schreiben aus Fachverfahren". Die Vergabe ist in vier Mengenlose aufgeteilt - ein Los je Fachverfahren. Jedes Los soll jeweils „Druck, Kuvertierung und Versand der Briefe“ umfassen. Bieter B rügt die unterlassene Aufteilung der Leistungen in Fachlose "Druck/Kuvertierung" und "Versand/Zustellung" sowie die fehlende Unterteilung in Gebietslose hinsichtlich bestimmter Zustellregionen.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg! Zwar sind das Drucken/Kuvertieren und der anschließende Postversand zu trennende Leistungsbereiche mit eigenen Märkten, die grundsätzlich eine Ausschreibung in getrennten Losen erfordern. Allerdings sei die vom öffentlichen Auftraggeber vorgesehene zusammengefasste Vergabe von Druck-, Kuvertier- und Postdienstleistungen in einem Los nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB zulässig. Maßgeblich dafür seien insbesondere die angeführten finanziellen Mehraufwendungen. Diese entstehen durch zusätzliche Schnittstellen, die erforderlich sind, um die Adressierung zweier Auftragnehmer bezüglich des „Druck/Kuvertierung“ einerseits und „Versand“ andererseits zu ermöglichen. Nach der auf Erfahrungswerten beruhenden Schätzung des öffentlichen Auftraggebers sei mit einem Mehraufwand in Bezug auf den Auftragswert zu rechnen, der knapp 40% betrage. Diese Erwägung sei plausibel, zumal auch im Rahmen des Losaufteilungsgebots die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung berücksichtig werden dürfe. Ergänzend trete hinzu, dass zusätzliche Schnittstellen zusätzliche, beispielsweise technische, Risiken bedeuten – der öffentliche Auftraggeber dürfe sich aber grundsätzlich für einen sicheren Weg der Leistungserbringung entscheiden.

Die übrigen vorgebrachten Argumente, wie unklare Verantwortlichkeiten zwischen den Dienstleistern und datenschutzrechtliche Anforderungen, rechtfertigten die Gesamtvergabe hingegen nicht. Der öffentliche Auftraggeber habe insgesamt die Entscheidung zur zusammengefassten Vergabe hinreichend dokumentiert und dabei seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Dabei sei nicht entscheidend, ob sämtliche Erwägungen überzeugen können, sondern ob sich in ausreichender Tiefe mit den Argumenten für und gegen eine Losaufteilung auseinandergesetzt wurde, von denen jedenfalls im Ergebnis einzelne Gesichtspunkte die Entscheidung tragen können. Ausführungen zu den Vorteilen der Losbildung für den Mittelstand dürften dabei grundsätzlich abstrakt bleiben.

 

Praxistipp:

Die Entscheidung macht deutlich, dass bei einem Abweichen vom Grundsatz der Losaufteilung, die tragenden Gründe sowie die Interessenabwägung im Vergabevermerk umfassend und sorgfältig zu dokumentieren sind, um einer nachträglichen Überprüfung stand halten zu können. Dabei müssen nicht alle Erwägungen ausschlaggebend für die Entscheidung sein – eine umfassende und in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit der Thematik muss aber deutlich werden.

 

VK Bund, Beschluss vom 10.03.2022 (Az.: VK 1-19/22)

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