OLG Düsseldorf: Anforderungen an den Inhalt einer Rüge


20.08.2020: Rügt ein Antragsteller, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter „nach seiner Kenntnis“ die Eignungsanforderungen des Bieters nicht erfüllt, muss er substantiiert vortragen, worauf diese Kenntnis beruht.

 

Sachverhalt:

Mit Bekanntmachung vom 08.05.2018 schrieb die Antragsgegnerin die Vergabe eines Auftrags zur Neukonzeption, Realisierung und zum Betrieb der Nationalen Informationsplattform Medizintechnik (kurz: NIM) im offenen Verfahren europaweit aus. Die Antragsgegnerin beabsichtigte, die von der Antragstellerin in der Zeit von 2014 bis 2018 betriebene Plattform im Einklang mit einem im Jahr 2016 veröffentlichten Fachprogramm auszubauen zu einer Informations-, Dialog- und Serviceplattform. Ausgeschrieben wurden die Neukonzeption, fachlich-inhaltliche Ausgestaltung, die technische Umsetzung sowie der (Weiter-)Betrieb der NIM. In der Bekanntmachung hatte die Antragsgegnerin die Option „Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“ angekreuzt. Zuschlagskriterien waren Preis (35 %) und Qualität (65 %).

 

Mit der Bewerbung sollten vier Konzepte (A-D) vorgelegt werden. Konzept A: Neue Nationale Informationsplattform Medizintechnik, Konzept B: Qualitätssicherung der NIM, Konzept C: Nutzerfeedback, Konzept D: Schutz der Informationsplattform vor Missbrauch. Die Bewertung der Konzepte wurde mit Kriterien sowie Unterkriterien umfassend dargestellt.

 

Zu den Angaben zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hieß es in den Bewerbungsbedingungen:

 

Zusätzlich: Erklärung über den Besitz einer gültigen Zertifizierung nach ISO 27001

Bei Bietergemeinschaften ist die Erklärung über die ISO 27001-Zertifizierung von dem Unternehmen vorzulegen, das mit dem Betrieb der Infrastruktur des Online-Portals betraut sein wird. Das Vorliegen der Erklärung ist eine Mindestanforderung an die Eignung. Wird diese Mindestanforderung nicht erfüllt, wird der Bieter bzw. die Bietergemeinschaft vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.“

 

Im Öffnungsprotokoll vermerkte die Antragsgegnerin, dass mit dem Angebot der Beigeladenen ein Zertifikat nach ISO 27001 im Rahmen der Eignungsleihe durch den Unterauftragnehmer vorgelegt wurde. Das Angebot der Antragstellerin wurde mit insgesamt 4,7 Punkten bewertet. Die Punktabzüge erfolgten, weil nach Einschätzung der Antragsgegnerin keine Neukonzeption vorlag, sondern im Wesentlichen eine Fortführung des Bestehenden. Der angebotenen Plattform fehle der stark interaktive Charakter, Zeitplan und Ausbauschritte seien wenig ambitioniert, die Beteiligung der Antragsgegnerin an den strategischen Dialogen bliebe offen, die Implementierung der Nutzerfeedbacks werde nicht konkret dargestellt. Mit Ausnahme eines Unterkriteriums erhielten die Konzepte der Beigeladenen jeweils die Höchstpunktzahl. Nach Abschluss der Wirtschaftlichkeitsanalyse lag das Angebot der Beigeladenen auf dem ersten Rang, das Angebot der Antragstellerin sowohl in der Preis- als auch in der Qualitätswertung auf Rang 3. Rang 2 belegte eine Bietergemeinschaft.

 

Mit Vorabinformation vom 20.07.2018 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene mit. Anwaltlich vertreten rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.07.2018 die fehlerhafte qualitative Wertung der Konzepte A und C ihres Angebotes, die fehlende Eignung der Beigeladenen sowie einen Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz. Die Eignungskriterien und Eignungsnachweise seien nicht vollständig in der EU-Bekanntmachung benannt worden. Am 30.07.2018 wurde die Rüge der Antragstellerin ergänzt um den Vorwurf, das Angebot der Beigeladenen sei als ungewöhnlich niedrig von der Wertung auszuschließen. Beiden Rügen half die Antragsgegnerin nicht ab. Die Antragstellerin wandte sich in der Folge an das OLG und wiederholte ihre Rügen mit dem Nachprüfungsantrag.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg! Die von Antragstellerin festgelegte Methode zur qualitativen Bewertung der von den Bietern vorzulegenden Konzepte ist nicht zu beanstanden. An einem Fehler leidet die Wertung des Angebots der Antragstellerin im Ergebnis nicht. Zurecht wurden die Angebote der Beigeladenen sowie des zweitplatzierten Bieters nicht wegen fehlender Eignungsnachweis oder wegen unangemessen niedrigen Preises ausgeschlossen. 

 

Soweit die Antragstellerin schriftlich geltend macht, nach ihrer „Kenntnis“ verfüge die Beigeladene nicht über die notwendige ISO-Zertifizierung, liegt eine Rüge i.S. von § 160 Abs. 3 S. 1 GWB nicht vor. Bei Rügen ist grundsätzlich ein großzügiger Maßstab anzulegen, da Bieter stets nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens haben. Deswegen darf in einem Nachprüfungsverfahren behauptet werden, was auf Grundlage des oft nur beschränkten Informationsstandes des Bieters redlicherweise für wahrscheinlich und möglich gehalten werden darf. Dennoch muss der Antragsteller, soweit sich der Vergaberechtsverstoß nicht vollständig seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht, zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Hinweis auf einen Vergaberechtsverstoß begründen.


Im Übrigen verhilft es dem Nachprüfungsantrag auch nicht zum Erfolg, dass die Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit entgegen § 122 Abs. 4 S. 1 und 2 GWB nicht in der Auftragsbekanntmachung, sondern unter Ziffer 4 der Bewerbungsbedingungen angegeben wurden. Die Zuschlagschancen der Antragstellerin wurden hierdurch nicht beeinträchtigt.

 

Praxistipp:

Um eine begründete Rüge einzureichen, ist die Quelle der eigenen Erkenntnisse festzustellen. Unter Verwendung der dem Bieter zur Verfügung stehenden Mittel sollten die vorhandenen Informationen überprüft werden. Dabei ist es nicht notwendig den Vergaberechtsverstoß zu beweisen, sondern die Rüge auf glaubhafte Informationen zu stützen.

 

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 16.08.2019 (Az.: Verg 56/18)

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