OLG Frankfurt: Leistungsbeschreibung – Auslegung


Sie soll allgemein verständlich und erschöpfend beschrieben sein – wer ist der objektive Empfänger?

 

Sachverhalt:

Ausgeschrieben waren Betonschutzwände als Schutzeinrichtungen an einer Bundesautobahn. Diese sind systemoffen ausgeschrieben, wobei auf das Erfordernis einer "Schutzeinrichtung mit korrosionsgeschützter Bewehrung" hingewiesen wird. Hintergrund sind Erkenntnisse der Straßenbauverwaltungen über korrosionsbedingte Schäden an Ortbetonschutzwänden. Bieter B bot die Betonschutzwand in Ortbeton an, deren Bewehrung zum Zwecke des Korrosionsschutzes mit einer PE-ummantelten Stahllitze versehen wird, der Beigeladene Bieter A bot die Betonschutzwand aus Betonfertigteilelementen an. Nach Auffassung des B ist das Angebot des A auszuschließen, da die Betonfertigteile nicht über einen gesonderten Korrosionsschutz der Stahlbewehrung verfügen und deren system- bzw. fertigungsbedingter Korrosionsschutz durch die Betonüberdeckung nicht ausschreibungskonform sei.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg: Das OLG Frankfurt sieht den Ausschreibungstext als eindeutig an: Maßgeblich für das Verständnis der Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont des potenziellen Bieters. Dabei ist auf einen branchenkundigen und mit der ausgeschriebenen Leistung durchschnittlich vertrauten Unternehmer abzustellen, der über das für die Angebotsabgabe notwendige Fachwissen verfügt und die Leistungsbeschreibung sorgfältig liest. Dem Wortlaut der Ausschreibung kommt dabei eine vergleichsweise große Bedeutung zu, wobei die speziellen Angaben in der betreffenden LV-Position in Verbindung mit den anderen Angaben im Leistungsverzeichnis und den anderen Vertragsunterlagen unter Einbeziehung der technischen Normen und des Stands der Technik als sinnvolles Ganzes auszulegen sind. Dem Fachmann muss danach bekannt sein, dass Schutzeinrichtungen in Ortbetonbauweise weitaus stärker korrosionsanfällig sind als solche aus Betonfertigteilen, die wegen ihres Herstellungsverfahrens viel weniger korrosionsanfällig sind und deshalb nach dem Stand der Technik ohne nochmals gesondert korrosionsgeschützte Bewehrung hergestellt werden. Für das Verständnis des fachkundigen Bieters muss insoweit auch auf die in jüngerer Vergangenheit gewonnenen baustofftechnischen Erkenntnisse und die daraus auf Auftraggeberseite und in den Fachgremien gezogenen Konsequenzen abgestellt werden.

 

Praxistipp:

In der Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass sich ein Bieter unabhängig von der Verpflichtung des Auftraggebers, die Leistungsbeschreibung eindeutig und erschöpfend darzustellen, bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung immer fragen muss, was der Auftraggeber aus seiner Interessenlage heraus wirklich gewollt hat. Sofern er Zweifel hat, ob seine Auslegung der Leistungsbeschreibung tatsächlich den Willen der Vergabestelle entspricht, trifft ihn gegebenenfalls die Verpflichtung, seine Zweifel durch Rückfragen zu klären.

 

OLG Frankfurt, Beschluss. vom 5.11.2019 (Az.: 11 Verg 4/19)


Stand: Dezember 2019

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