OLG Karlsruhe: Auch bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit


Auch wenn er die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausschlussvorschrift als erfüllt ansieht, hat der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und abzuwägen, ob der Ausschluss sachlich gerechtfertigte und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren ist.

Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin hatte in einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb eine strategische Kooperationspartnerschaft zur Bewerbung um das Stromnetz auf ihrem Stadtgebiet ausgeschrieben. Anfang 2020 wurden die endgültigen Angebote abgegeben. Im März 2020 wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass ihr der Zuschlag nicht erteilt werde. Es wurde durch die spätere Beigeladene ein besseres „Konzept zur Steuerung der Ergebnisentwicklung“ eingereicht. Die Antragstellerin rügte ein fehlerhafte Vorabinformation und eine fehlerhafte Konzeptbewertung und stellte einen Nachprüfungsantrag. Der Nachprüfungsantrag wurde durch Beschluss der Vergabekammer vom 26.05.2020 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde und verfolgt die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens weiter.

Vorgetragen wird, dass die Angebote nicht eigeständig durch die Antragsgegnerin bewertet worden seien, die Entwurfsfassung als auch die finale Fassung waren durch einen externen Berater erfolgt. Die Dokumentation sei fehlerhaft, da sich weder Datum noch Aussteller erkennen lassen. Die Angebotswertung sei insgesamt intransparent.

Erstmals vorgetragen wird, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei, da gegen diese bzw. ihre Muttergesellschaft die Landesenergiekartellbehörde ein Verfahren wegen wettbewerbsbeschränkender Verträge mit Gemeinden zur Erlangung von Strom- und Gaskonzessionen geführt hatte. Das Verfahren wurde lediglich gegen die Verpflichtung eingestellt, die Verträge zu beenden und einen Betrag in Höhe des Vorteils an die Staatskasse zu zahlen. Somit lägen hinreichende Anhaltspunkte für die Beteiligung der Muttergesellschaft an einer den Wettbewerb beschränkenden Absprache beteiligt gewesen zu sein vor.

Beschluss:
Ohne Erfolg! Es liegt kein Verstoß gegen die Bestimmungen des Vergaberechts darin, dass die Antragsgegnerin es durch Gemeinderatsbeschluss vom 29.09.2020 abgelehnt hat, die Beigeladene gem. §§ 124 Abs. 1 Nrn. 3, 4 oder 9 lit. c GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen. Sieht der öffentliche Auftraggeber die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausschlussvorschrift als erfüllt an, verlangen die Vorschriften, dass er unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls prüft und abwägt, ob der Ausschluss eine sachlich gerechtfertigte und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbarende Reaktion aus den Anlass ist. Die Ermessensentscheidung ist grundsätzlich nur dahingehend überprüfbar, ob vor der Entscheidung alle erheblichen Tatsachen ermittelt wurden.

Es ist zu prüfen, ob der Zweck der Ermächtigung verkannt, oder ob aus willkürlichen und unsachlichen Motiven heraus gehandelt wurde. Dies war vorliegend nicht der Fall. Unerheblich war auch, dass seit der Einstellungsverfügung keine drei Jahre vergangen waren. Falls das Unternehmen keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat, beträgt die Höchstdauer für die Möglichkeit des Ausschlusses nach § 124 GWB drei Jahre „ab dem betreffenden Ereignis“. Nicht ausgeschlossen wird dadurch, dass der Auftraggeber im Rahmen der Ermessungsausübung zu dem Schluss kommt, dass evtl. Verstöße des Unternehmens einer Eignung nicht im Weg stehen. Durch die Einstellung des kartellrechtlichen Verfahrens der Landesenergiekartellbehörde war das Ermessen der Antragsgegnerin nicht auf null reduziert. Angeblich wettbewerbsbeschränkende Absprachen waren nicht im laufenden Verfahren getroffen worden, sondern lagen bereits Jahre zurück. Aufgrund des im August 2018 eingestellten Verfahrens sag die Antragstellerin keinen Grund, die Beigeladene vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren auszuschließen.

Zweck der Ermessensausübung zu einem evtl. Ausschluss war insb. nicht, ein mögliches Fehlverhalten der Beigeladenen in der Vergangenheit zu sanktionieren, sondern eine Prognose zu erstellen, ob die Beigeladene ob eines – unterstellen – Verstoßes eine zuverlässige und geeignete Partnerin eines Kooperationsvertrages sein kann. Ein Überschreiten der Grenzen der Ermessensausübung liegt auch nicht darin, dass die Beigeladene nicht wegen der Übermittlung irreführender Informationen gem. § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c GWB ausgeschlossen wurde. Hier hatte die Antragsgegnerin ebenfalls das Vorliegen der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands unterstellt und einen Ausschluss als unverhältnismäßig angesehen. Die Äußerungen in einem hochstreitigen Vergabenachprüfungsverfahren hätten zur Wahrung der rechtlichen Interessen gedient.

Praxistipp:
Ziel jeder Eignungsprüfung in Vergabeverfahren ist die Feststellung, ob das für den Zuschlag in Betracht kommende Angebot von einem seriösen, zuverlässigen Unternehmen abgegeben worden ist. Das Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes nach § 124 GWB steht einem positiven Ergebnis nicht grundsätzlich entgegen. Es ist objektiv zu prüfen, ob die Schwere der Verfehlungen einen Ausschluss vom Vergabeverfahren unabdingbar macht, oder ob mit Blick auf das laufende Vergabeverfahren ein Absehen vom Ausschluss zulässig und begründet ist.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom Datum 16.12.2020 (Az.: 15 Verg 4/20)
 

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