OLG Rostock: Aufhebung eines Vergabeverfahrens unter Hinweis auf EuGH-Urteil vom 04.07.2019 – C- 377/17 – grundsätzlich nicht nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV gerechtfertigt


30.03.2020:
Sachverhalt: Sieben Wochen nach Einlegung der Beschwerde durch die Antragstellerin teilte die öffentliche Auftraggeberin mit, dass sie das Vergabeverfahren wegen einer wesentlichen Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens aufgehoben hat. In Bezug genommen wurde dabei das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 – C-377/17 – wonach die verbindlichen Honorare der HOAI gegen EU-Recht verstoßen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin und beantragte hilfsweise, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung, da Aufhebungsgründe nach § 63 VgV nicht vorliegen würden.

Beschluss:
Ohne Erfolg: Der Senat hat sich der Rechtsprechung des BGH angeschlossen. Bieter müssen die Aufhebung eines Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn dies von einem der in § 63 Abs. 1 S. 1 VgV aufgeführten Gründe gedeckt und somit von vornherein rechtmäßig ist. Vergabestellen können von Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand nehmen, wenn kein gesetzlicher Aufhebungsgrund dafür vorliegt. Zwar haben Bieter einen Anspruch darauf, dass Auftraggeber die Bestimmungen des Vergaberechts einhalten, nicht aber darauf, dass der Auftrag auch erteilt und das Vergabeverfahren durch Erteilung des Zuschlags beendet wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – X ZB 18/13, juris Rn. 20). Für diesen Fall kommen regelmäßig nur Sekundäransprüche (Schadensersatzansprüche) auf das negative - oder im Ausnahmefall sogar auf das positive - Interesse in Betracht.

Praxistipp:
Wird eine Ausschreibung unzulässigerweise aufgehoben, kann der für den Zuschlag vorgesehene Bieter Schadensersatz verlangen. Rechtsfolge einer rechtswidrigen Aufhebung ist grundsätzlich nur der Ersatz des negativen Interesses (Vertrauensinteresse). Dann ist der Bieter so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf die Durchführung des Vergabeverfahrens und dessen Zuschlagserteilung vertraut hätte. Es sind also nur die Aufwendungen, die für die Angebotserstellung beim Bieter entstanden sind, zu ersetzen. Problematisch wird es, wenn dieser Schadensersatz auf das positive Interesse gerichtet ist. Beim positiven Interesse geht es um den Erfüllungsschaden, d.h. um den Schaden, der dadurch entsteht, dass der Vertrag nicht erfüllt wird – wie den Ersatz des entgangenen Gewinns. Die Geltendmachung des positiven Interesses ist dann möglich, wenn der Auftraggeber den Aufhebungsgrund grob fahrlässig - oder sogar vorsätzlich - selbst zu vertreten hat.

OLG Rostock Vergabesenat, Beschluss v. 02.10.2019 - 17 Verg 3/19 -

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