OLG Rostock: Keine vorzeitige Zuschlaggestattung bei Großbauvorhaben

 

Befindet sich ein Großvorhaben im Baubereich noch in der Anfangsphase, kann die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags nicht mit der Begründung finanzieller Einbußen erfolgen, die im Falle einer verzögerten Fertigstellung erst in einigen Jahren zu erwarten wären.

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin schrieb in einem EU-weiten offenen Verfahren die Herstellung von Baugruben, Verbau und Tiefgründung einschließlich Spezialtiefbau für dieses Bauvorhaben mit dem Preis als alleinigem Zuschlagskriterium aus. Der geschätzte Auftragswert betrug 2.139.555,74 €. Die Antragstellerin gab das einzige Gebot mit einer Auftragssumme in Höhe von 4.934.258,32 € brutto ab. Das Projektmanagement teilte der Antragsgegnerin mit, dass eine Aufhebung des Vergabeverfahrens aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sei. Das Angebot übersteige die verfügbaren Mittel um ca. 130 %. Die erneute Ausschreibung der Bauleistungen wurde angekündigt.
 

Die Antragstellerin rügte die Verfahrensaufhebung, die Antragsgegnerin wies die Rüge zurück. Es schloss sich ein Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer an. Der Nachprüfungsantrag wurde mit Beschluss zurückgewiesen, weil für die Aufhebung der Ausschreibung schwerwiegende Gründe im Sinne von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU bestanden hätten. Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein, mit dem Ziel die Aufhebung des Vergabeverfahrens rückgängig zu machen.

Die Bauleistungen, welche Gegenstand des aufgehobenen Vergabeverfahrens waren, wurden durch die Antragsgegnerin aufgeteilt in drei nationale öffentliche Ausschreibungen bekannt gemacht. Hiervon erfuhr die Antragstellerin aus der Antragserwiderung der Antragsgegnerin. An zwei der Vergabeverfahren hat sich die Antragstellerin beteiligt und zu allen drei Verfahren gerügt. Nach Zurückweisung der Rüge hat die Antragstellerin ein neues Verfahren bei der Vergabekammer eingeleitet. Ziel des Nachprüfungsverfahrens war die Untersagung der Zuschlagserteilung. Neben der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags hat die Antragsgegnerin beantragt, ihr den Zuschlag zu gestatten. Es fehle weder an der notwendigen Vergabereife noch liege eine Doppelausschreibung vor. Das erste Vergabeverfahren sei wirksam aufgehoben worden. Ein Zuschlagsverbot bestehe nicht. Ein verschobener Beginn der Bauarbeiten verzögere die Fertigstellung und führt zu erheblichen Einnahmeeinbußen. Es bestehe zudem die Gefahr von Mehrforderungen der günstigsten Bieter für ihre Leistungen bei verschobenem Zuschlag. Die Vergabekammer hatte das Zuschlagsverbot zu Gunsten der Antragsgegnerin aufgehoben und das Interesse an einem vorzeitigen Zuschlag mit der Verfahrensdauer begründet.


Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung des Zuschlagsverbotes. Sie trägt u.a. vor, das Vorbringen der Antragsgegnerin, wegen einer nach jetzigem Stand mit großer Wahrscheinlichkeit frühestens im Jahr 2024 stattfindenden Wiedereröffnung gingen ihr für das Jahr 2023 eingeplante Einnahmen in Höhe von etwa 4,5 Mio. € verloren, sei unzutreffend. Soweit ersichtlich, ging die Antragsgegnerin ohnehin von einem Abschluss der Bauarbeiten nicht vor 2024 aus.

 

Entscheidung:

Mit Erfolg! Die Voraussetzungen für eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags liegen nicht vor.

Die Vergabekammer kann dem Auftraggeber auf seinen Antrag gestatten, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung zu erteilen. Dabei sind alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zur berücksichtigen. Gleichzeitig müssen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Die zeitliche Verzögerung durch ein Verfahren vor der Vergabekammer kann es nicht rechtfertigen, den Zuschlag vorab zu gestatten. Das Nachprüfungsrecht würde sonst ad absurdum geführt. Im Falle einer knappen Planung muss der Auftraggeber auch finanzielle Nachteile hinnehmen, mit Ausnahme außergewöhnlich hoher finanzieller Belastungen. Das vorliegende Bauvorhaben befindet sich noch am Anfang und wird sich über mehrere Jahre erstrecken. Die durch die AG befürchteten Einbußen können sich frühestens in zwei Jahren einstellen. Es ist nicht auszuschließen, dass in so einem langen Zeitraum eingetretene Verzüge wieder aufgeholt werden können. Hierzu kann sogar das Ausbleiben einkalkulierter Nachprüfungsverfahren beitragen.

 

Praxistipp:

Großbauvorhaben bringen aus den verschiedensten Gründen häufig unvorhergesehene Verzögerungen mit sich, hierzu zählen auch Nachprüfungsverfahren. Um die Auswirkungen auf die Umsetzung von Bauvorhaben zu verringern, sollten bereits bei Planung und Vorbereitung der Vergabeverfahren Zeitpuffer berücksichtigt werden.

 

OLG Rostock, Beschluss vom 16.09.2021, Az.: 17 Verg 7/21

Ihr persönlicher Kontakt Steffen Müller
Telefon: 0895116-3172
E-mail schreiben