OLG Schleswig-Holstein: Kein Ausschluss eines Angebots unter rein formalen Gesichtspunkten


Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt nur dann vor, wenn der Bieter manipulativ in die Vergabeunterlagen eingreift und so ein von den Vorgaben abweichendes Angebot einreicht, welches bei einem Wegdenken der Abweichungen unvollständig bleibt.

Sachverhalt:
Die Antragsgegner schrieben mit Bekanntmachung vom 21.11.2019 gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen mit Linienbussen und Anruf-Sammel-Taxen aus. Als Eignungskriterium zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit wurde die Beschreibung von max. zehn bisher erbrachten Busverkehrsleistungen sowie Angaben zu Erfahrungen im Verbundverkehr und in der Verbundintegration gefordert. Den Vergabeunterlagen war ein Kalkulationsschema, welches aus Excel-Tabellen bestand, beigefügt. In dieses hatten die Bieter bestimmte Kosten einzutragen. Die Antragstellerin stellte eine falsche Verlinkung von zwei Zellen des Kalkulationsschemas fest. Die Antragsgegner wiesen mit Bieterinformation darauf hin, dass das Arbeitsblatt „Nachrichtliche Information“ vereinzelt Formel- und Bezugsfehler aufweise. Das Arbeitsblatt wurde für ungültig erklärt mit dem Hinweis, es habe für die Angebotswertung und die spätere Vertragsabrechnung keine Bedeutung. Die Antragsgegner gaben über das Vergabeportal bekannt, dass sie der Beigeladenen den Zuschlag auf das Gesamtangebot zu erteilen beabsichtigen.

Mit Anwaltsschreiben rügte die Antragstellerin verschiedene Vergaberechtsverstöße. U.a. die Intransparenz der Angebotswertung, die Gefahr, dass Bieter die Bieterinformation zur Abgabe spekulativer Angebote nutzen könnten sowie die unvollständige Ausführung der Eignungskriterien in der Bekanntmachung. Zudem wurden Zweifel am Vorhandensein notwendiger Kapazitäten an Bussen bei der Beigeladenen aufgrund von Marktkenntnissen geäußert. Die Antragsgegner wiesen die Rügen zurück.

Die Antragstellerin stellte am 20.03.2020 einen Nachprüfungsantrag und führte in der Begründung zu den zuvor gerügten Vergaberechtsverstößen aus. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag verworfen. Die Antragstellerin richtet sich gegen die Entscheidung der Vergabekammer mit form- und fristgerecht eingelegter begründeter Beschwerde. Im Beschwerdeverfahren wird der Antragstellerin auszugsweise Akteneinsicht in das von der Beigeladenen ausgefüllte Kalkulationsschema und den Vermerk der Antragsgegner zur Angebotsaufklärung mit der Beigeladenen gewährt. Nach erfolgter Akteneinsicht rügt die Antragstellerin weiter, das Angebot der Beigeladenen enthalte nicht die geforderten Preise und Angaben. Die Beigeladene habe die Kosten der Fahrzeugreserve mit 0 % angesetzt, somit sei ihre Preisangabe unvollständig. Indem sie die Kosten der Fahrzeugreserve angeblich in die Kosten je Fahrzeug eingerechnet habe, habe die Beigeladene eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen vorgenommen. Die Beschwerdegegner halten dem entgegen, die Beigeladene sei nicht von zwingenden Kalkulationsvorgaben abgewichen. Es sei ersichtlich um die Summe der Kosten gegangen, um eine Beinhaltung einer ausreichenden Fahrzeugreserve zu prüfen. Durch die Eintragungsweise der Beigeladenen sei dies nicht geändert worden, es lagen keine falschen Preisangaben vor.

Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, begründet. Die Antragsgegner müssen das Vergabeverfahren fortsetzen und dabei prüfen, ob das Angebot der Beigeladenen auszuschließen ist.

Es bestehen Anhaltspunkte dafür, die Beigeladene könne mit dem von ihr verfolgten Fahrzeugkonzept die ausgeschriebenen Leistungen nicht erbringen. Ist dies der Fall, würde eine Änderung der Vergabeunterlagen vorliegen, die nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zum Ausschluss des Angebots von der Wertung führen müsste. Sofern der Bieter manipulativ in die Vergabeunterlagen eingreift, indem er ein von den Vorgaben abweichendes Angebot macht, das bei einem Wegdenken der Abweichungen unvollständig bleibt, liegt eine Änderung der Vergabeunterlagen i.S. von §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV vor. Hierzu bedarf es keiner körperlichen Veränderung durch z.B. Änderung der vorgegebenen Leistungsmengen oder -beschreibungen. Es reicht aus, dass der Bieter beim Ausfüllen von Berechnungsschemata von den Vorgaben abweicht. Auch liegt eine Änderung von Vergabeunterlagen vor, wenn das Angebot von den Leistungsvorgaben in der Ausschreibung abweicht. Der Ausschluss eines Angebots aus rein formalen Gesichtspunkten kommt aber nicht in Betracht. Etwaige Unklarheiten sind im Wege der Aufklärung zu beseitigen. Ausschließlich manipulative Eingriffe in die Vergabeunterlagen sollen sanktioniert werden.

Praxistipp:
Ist der Bieterwille nicht durch Auslegung zu ermitteln, sollte stets aufgeklärt werden, ob der Bieter durch Angaben in seinem Angebot tatsächlich die Änderung der Vergabeunterlagen beabsichtigt hatte. Die so präzisierte Willenserklärung des Bieters kann dann als Grundlage für die Prüfung eines möglichen Ausschlusses des Angebots dienen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 12.11.2020 (Az.: 54 Verg 2/20)

 

 

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