VK Bund: Anforderungen an eine Rüge und Auskömmlichkeitsprüfung

 

Bei einer Rüge müssen zumindest Anknüpfungspunkte oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Eine Prüfung der Preisbildung ist zwingend erforderlich, wenn der Abstand zwischen dem Angebot des bestplatzierten und dem des zweitplatzierten Bieters mehr als 20 % beträgt. Eine ordnungsgemäße Aufklärung der Auskömmlichkeit erfordert eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung.

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb in einem EU-weiten Verfahren Umbaumaßnahmen aus. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. In der Baubeschreibung war u.a. die ordnungsgemäße Entsorgung nicht gefährlicher Abfälle enthalten. Sie enthielt Ausführungen zur Dokumentation der beim zukünftigen Auftragnehmer liegenden Nachweis- und Registerpflichten bei der Abfallentsorgung. Alle anfallenden Kosten im Zusammenhang mit der Abfallentsorgung waren in die entsprechende LV-Position einzurechnen. Die ordnungsgemäße und schadlose Entsorgung des Abfalls war durch den Bieter in einem Formblatt nachzuweisen. Eine von ihrer Gesamtmenge her erhebliche Position im Leistungsverzeichnis zur Entsorgung nicht gefährlicher Abfälle lautete für den 2. Bauabschnitt: „02.01.0002 … 30.000,00 m³ Boden bzw. Fels lösen und verwerten…“. Im Leistungsverzeichnis fanden sich zudem weitere Positionen zu nicht gefährlichen Abfällen.

 

Die zweitplatzierte Antragstellerin (Ast.) gab ein Angebot ab, das 35 % hinter dem der späteren Beigeladenen (B.) lag. Die Ag. forderte die B. auf, eine Erklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung ihres Angebots abzugeben. Aufklärungsbedarf sah sie in über 40 Einzelpositionen. Die B. erläuterte die Kalkulation der jeweiligen Positionen. Zur Position 02.01.0002 erklärte sie, wie sie den eigenen Leistungsansatz beim Bodenaushub kalkuliert habe und fügte einen Auszug der Urkalkulation zu den Positionen bei. Im weiteren Verlauf wurden sowohl die Ast. als auch die B. aufgefordert, weitere Unterlagen vorzulegen: u.a. zu Nachunternehmerleistungen, Urkalkulation und Kalkulation der Nachunternehmerleistungen sowie zum Entsorgungsweg für nichtgefährliche Abfälle.

Die B. legte entsprechende Unterlagen vor und teilte mit, dass sowohl der Transport der nicht gefährlichen Abfälle als auch deren Verwertung/Entsorgung an einem näher bezeichneten Ort durch eine andere Firma erfolge. Die B. hatte in ihrem Angebot für die Verwertungspositionen, u.a. 02.01.0002, keine Nachunternehmer benannt. Die Ast. legte ebenfalls die geforderten Unterlagen und listete ausführlich den Entsorgungsweg für nichtgefährliche Abfälle durch Benennung des Transporteurs und Entsorgungsorts auf. Für die Verwertungspositionen, u.a. 02.01.0002, hatte sie keine Nachunternehmer benannt. Zuvor hatte die Ast. die Ag. in gesondertem Schreiben aufgefordert, im Hinblick auf die B. eine Preisprüfung durchzuführen. Die Ag. informierte die Ast. in der Folgezeit darüber, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Der Zuschlag solle auf das Angebot der B. erteilt werden. Mit gesondertem Schreiben teilte die Ag. der Ast. mit, dass sie eine Preisprüfung bei der B. vorgenommen habe und das Angebot in der Wertung verbleibe.

 

Die Ast. rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung und zeigte anhand einiger Positionen des Leistungsverzeichnisses auf, warum der Preis der B. unangemessen niedrig sei und die Ag. dies ihrer Auffassung nach nicht ordnungsgemäß geprüft habe. Der Angebotspreis der B. sei betriebswirtschaftlich nicht zu begründen. Die Leistungsposition 02.01.002 nähme einen erheblichen Anteil der Angebotssumme ein. Aufgrund erheblicher Transportkosten und des abfallrechtlichen Näheprinzips kämen zur Verwertung des Bodens/Felsens nur nahegelegene Betriebe in Betracht. Die Ast. habe zu ihrer Angebotserstellung mehrere Angebote von in der Umgebung ansässigen Entsorgungsbetrieben eingeholt. Daraus habe sie einen „Marktpreis“ errechnet, der mindestens angeboten werden müsse.
 

Die Ag. half der Rüge nicht ab. Daraufhin stellte die Ast. einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer. Die Ag. trug vor, dass die Ast. unzulässigerweise „ins Blaue hinein“ gerügt habe. Das um 35 % niedrigere Angebot sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Das Abweichen der Angebotssumme habe zu einer Aufklärung von 42 Positionen geführt, u.a. auch der Position 02.01.0002. Die B. habe schlüssig und nachvollziehbar aufgeklärt. Das Angebot der B. habe nicht eine kostenpflichtige Entsorgung des Bodens umfasst, sondern vielmehr eine aufgrund der Belastungsklasse des Bodens ebenfalls mögliche Verwertung. Der niedrige Preis erkläre sich technisch durch die Übernahme und Vergütung des Bodens durch ein anderes Unternehmen.

 

Beschluss:

Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg! Er war zulässig: Da ein Bieter regelmäßig nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens habe, dürfe er im Rahmen seiner Rüge vortragen, was er auf Grundlage seines Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf. Es sei aber insoweit ein Mindestmaß an Substantiierung einzuhalten. In der Rüge müssten zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Der Bieter sei gehalten, Erkenntnisquellen auszuschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen. Er müsse, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben woher seine Erkenntnisse stammen.

Die Rüge der Ast. genügte hier diesen Anforderungen. Sie habe hinsichtlich der von ihr als problematisch vermuteten Kalkulation der Position 02.01.0002 aus ihrer Sicht konkret zu beachtende kalkulatorische Rahmenbedingungen vorgetragen. Mehr war im Rahmen der Rüge nicht zu verlangen, da es sich bei dem insoweit geltend gemachten Vergabeverstoß ausschließlich um einen solchen handelte, der interne Prüfungsschritte der Ag. (Preisprüfung, Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebotspreises in Bezug auf die B.) sowie die – der Ast. nicht bekannte – Kalkulation der B. betraf.

 

Der Nachprüfungsantrag war auch begründet: Der Angebotspreis der B. erscheine im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig. Die Aufgreifschwelle von 20 %, ab der der öffentliche Auftraggeber verpflichtet sei, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, sei vorliegend erheblich überschritten worden. Die von der Ag. zu Recht durchgeführte Aufklärung der Auskömmlichkeit sei jedoch nicht ausreichend. Eine Preisaufklärung müsse darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung zu schaffen.

 

Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage der Unterlagen über die Preisermittlung erfordere eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer Überprüfung. Die B. begründete ihren niedrigen Preis mit einer Vergütung für das anfallende Material und legte diese ihrer Urkalkulation als Kostenbestandteil z.B. in der Position 02.01.0002 zugrunde. Die Ag. habe jedoch allein die rechnerische Richtigkeit geprüft, wobei der von der B. genannte Vergütungsbetrag zugrunde gelegt worden sei. Die Ag. habe keine Plausibilitätskontrolle durchgeführt, ob der von der B. angegebene Leistungsansatz (Personal/Gerät) bei der erheblichen Menge von 30.000 m³ Material in der Position 02.01.0002 realistisch sei. Um die Plausibilität dieser Bieterangaben im Sinne einer „gesicherten Tatsachengrundlage“ zu überprüfen, sei daher eine weitere Aufklärung vorzunehmen. Dass eine solche Anforderung nicht außerhalb der wirtschaftlichen Realität liege, zeige sich daran, dass es jedenfalls der Ast. möglich war, in der Angebotserstellungsphase von zwei externen Entsorgungsunternehmen Angebote einzuholen. Zwar könne der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit einem Unterkostenangebot wettbewerbskonforme Ziele verfolge und er nachweisen könne, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziere der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse. Vorliegend fehle es aber schon an der Tatsachengrundlage, die für eine solche Prognoseentscheidung der Ag. zwingend erforderlich wäre. Die Ag. könne diesen Schritt im Rahmen der ordnungsgemäßen Ausübung ihres rechtlich gebundenen Ermessens nicht überspringen.

 

Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht sei das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zurückzuversetzen.

 

Praxistipp:

Bieter sollten in einer Rüge unter Angabe überprüfbarer Quellen Anhaltspunkte und Hinweise vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen können. 

Vergabestellen sollten sich bei einer Auskömmlichkeitsprüfung konkret mit den Angaben des Bieters auseinandersetzen. Eine Zuschlagserteilung auf ein Unterkostenangebot ist nur dann zulässig, wenn der Bieter nachweisen kann, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen.

 

VK Bund, Beschluss vom 03.11.2021 - VK 1-112/21

Ihr persönlicher Kontakt Angelika Höß
Telefon: 089-5116-3171
E-mail schreiben