VK Bund: Auftraggeber muss Gleichwertigkeit einer alternativen Lösung prüfen und dokumentieren


Schreibt der Auftraggeber die Lieferung von Fertignasszellen in Leichtbetonweise aus und lässt er gleichwertige Lösungen zu, kann das Angebot eines Bieters, der Nasszellen aus Stahlblech anbietet, nicht wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden. Die Beurteilung der Gleichwertigkeit anhand der ausgeschriebenen Anforderungen ist vom Auftraggeber nachvollziehbar zu dokumentieren.

 

Sachverhalt:

Ausgeschrieben waren für einen Neubau eines Gebäudes die Herstellung, Lieferung und der Einbau von vorgefertigten Sanitärzellen in einem EU-weiten Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Leistungsverzeichnis wies auf Folgendes hin: "Die nachstehende Leistungsbeschreibung beschreibt eine kompakte Sanitärzelle in Betonbauweise mit Decke, Wänden und Fußboden als geschlossene Raumeinheit. Selbstverständlich können gleichwertige Lösungen angeboten werden." Das LV enthielt zahlreiche Vorgaben u.a. für Abmessungen und Gewicht der Zellen, deren Abdichtung, den Schallschutz sowie hinsichtlich der einschlägigen DIN-Normen. Bieter B bot Fertignasszellen aus Stahlblech an. In dem seinem Angebot beigefügten Schreiben wurde kurz die konkrete Ausführung der angebotenen Fertignasszellen beschrieben, zudem enthielt es eine Liste mit Referenzaufträgen.

Das Angebot des B war das preisgünstigste. Das vom Auftraggeber beauftragte Ingenieurbüro besichtigte die Stahlblech-Fertignasszelle bei B und hatte laut Protokoll "keine technischen Bedenken". Weitere Angaben zur technischen und fachlichen Tauglichkeit der vor dem Bieter angebotenen Nasszelle waren dem Protokoll nicht zu entnehmen. Die fachtechnische Prüfung des Angebotes durch das Ingenieurbüro ergab, dass die Leistungen gleichwertig angeboten wurden. Der preislich an zweiter Stelle liegende Antragsteller A rügte, dass das für den Zuschlag vorgesehene Angebot auszuschließen sei, da B keine Fertignasszellen in Leichtbetonbauweise angeboten habe. Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab. Daraufhin strengte A ein Nachprüfungsverfahren an.

 

Beschluss:

Mit teilweisem Erfolg. Die Vergabekammer untersagte die Zuschlagserteilung. Sie befand, dass das Angebot des B nicht schon deshalb auszuschließen sei, weil die von ihm angebotenen Nasszellen nicht aus Leichtbeton seien. Allerdings müsse der Auftraggeber vor einer endgültigen Zuschlagserteilung die Gleichwertigkeit eines Angebotes nachvollziehbar überprüfen und dokumentieren. Die Vorgaben im LV seien eindeutig so zu verstehen, dass nicht nur Lösungen in Leichtbetonweise zugelassen seien, sondern auch andere, sofern diese gleichwertig seien. Das Material werde an der entsprechenden Stelle im LV nur deshalb erwähnt, weil sich das LV an diesem Material als eine Art Muster oder "Leitvorgabe" orientiere. Das LV enthalte gerade keine zwingende Vorgabe für eine Ausführung der Nasszellen in Leichtbetonbauweise. Allerdings habe der Auftraggeber im LV ausdrücklich festgelegt, dass ein Angebot, das andere Materialien als den vom Auftraggeber beispielhaft genannten Leichtbeton beinhalten, nur dann zuschlagsfähig seien, wenn das betreffende Material "gleichwertig" zu Leichtbeton sei.

Die Gleichwertigkeit sei anhand der ausgeschriebenen Anforderungen zu prüfen. Die Vergabeakte enthalte jedoch lediglich die Feststellung, dass das betreffende Angebot gleichwertig sei. Weitere Begründungen, Erwägungen oder sonstige Ausführungen hierzu enthalte die Vergabeakte nicht. Auch im Nachprüfungsverfahren habe der Auftraggeber bzw. das von ihm beauftragte Ingenieurbüro die Gleichwertigkeit lediglich behauptet, ohne sich mit den einzelnen Anforderungen des LV vollständig und nachvollziehbar auseinanderzusetzen. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht müsse der Auftraggeber daher die Gleichwertigkeitsprüfung anhand der ausgeschriebenen Vorgaben nachholen und ausreichend dokumentieren.

 

Praxistipp:

Wieder einmal ein Beleg dafür, wie wichtig die Prüfung und ausführliche Dokumentation seitens des Auftraggebers ist. Das Zulassen von alternativen Lösungen ist absolut vorbildlich. Unter den vergaberechtlichen Grundsätzen von „Wettbewerb, Gleichbehandlung, Transparenz“ reicht es aber nicht, eine Gleichwertigkeit nur positiv festzustellen.

 

VK Bund, Beschluss vom 19.08.2019 (Az.: VK 1-55/19)

 

Stand: Oktober 2019

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