VK Westfalen: Kein Ausschluss des erstplatzierten Bieters ohne Aufklärung


Hindern die Vergabeunterlagen einen Bieter nicht daran, seine Vorstellungen und persönlichen Interessen zu verfolgen, ist dies durch den Auftraggeber hinzunehmen oder er muss seine Vergabeunterlagen so gestalten, dass dies nicht möglich ist.

Sachverhalt:
Im offenen Verfahren nach VgV wurden Entsorgungsleistungen für ein Gemeindegebiet in drei Losen ausgeschrieben. Das streitgegenständliche Los 2 umfasste die Übernahme von Altpapier sowie den Transport und die Verwertung bzw. Vermarktung des Altpapiers. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis, die Vertragslaufzeit war mit vier Jahren angegeben.
Die Bieter zu Los 2 waren aufgefordert, zwei Preisblätter auszufüllen und die Kosten für den Transport sowie Verwertungserlöse anzugeben. Die Kalkulation zur angeboten Leistung war in einem separaten, verschlossenem Umschlag einzureichen. Es waren die Kosten- und Leistungssätze der jeweiligen Positionen darzustellen. Mit den Angaben sollte der Angebotspreis rechnerisch nachvollziehbar sein.


Ausweislich der Bewerbungsbedingungen war für das wirtschaftlichste Angebot der Gesamterlös bezogen auf die jeweilige Vertragslaufzeit maßgebend. Die Erlöse aus der Vermarktung des Altpapiers sollten von den Kosten der weiteren Leistungen in diesem Los abgezogen werden. In den Vergabeunterlagen wurde darüber informiert, dass die Angemessenheit der Angebotspreise überprüft werde. Die Benennung von Verwertungsanlagen und Papierfabriken bei Angebotsabgabe waren nicht notwendig.
 

Für das Los 2 gingen insgesamt drei Angebote ein. Das preislich bestplatzierte Angebot der Antragstellerin sollte nach dem Vergabevorschlag wegen spekulativer Preisangaben zum Nachteil der Antragsgegnerin ausgeschlossen werden. Aufklärungsgespräche wurden mit der Antragstellerin nicht geführt. Die Antragstellerin wurde vorab über den Ausschluss informiert mit der Begründung, es sei eine unzulässige Mischkalkulation vorgenommen worden. Im Preisblatt 1 war ein Entgelt für Transport- und Verwertung anzugeben gewesen, die Antragstellerin hatte aber einen Erlös angeboten. Der Erlös aus Preisblatt 2 sei ungewöhnlich niedrig und somit nicht marktüblich. Der Auftraggeber würde so von einer positiven Marktentwicklung ausgeschlossen. Die Antragstellerin wies die Vorwürfe zurück. Sie teilte mit, dass kein spekulatives Angebot und somit keine unzulässige Mischkalkulation vorliege. Die Antragsgegnerin hätte eine Aufklärung gemäß § 60 VgV durchführen müssen, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis ungewöhnlich niedrig erschien. Die Rüge wurde durch Vorlage eines Schreibens einer Papierfabrik untermauert, welche als Nachunternehmer die Kosten für den Altpapiertransport übernimmt.

Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab, die Antragstellerin beantragte daher die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Beschluss:
Mit Erfolg! Der Ausschluss der Antragstellerin aus dem Wettbewerb war vergaberechtlich nicht gerechtfertigt.
Wenn ein Bieter den ersten Rang belegt, ist ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich dazu verpflichtet, die Aufklärung des Angebots vorzunehmen. Schon die fehlende Aufklärung nach § 60 VgV oder nach § 15 Abs. 5 VgV stellt einen Vergaberechtsverstoß dar, der die Zurückversetzung rechtfertigen würde. Die Ausschlussgründe waren in der Nichtabhilfeentscheidung zudem nicht umfassend genannt. Nach Ansicht der Vergabekammer rechtfertigten die im Nachprüfungsverfahren schriftlich vorgetragenen Begründungen der Antragsgegnerin den Ausschluss der Antragstellerin nicht. Die Antragsgegnerin war der Meinung, die Antragstellerin sei eine Bietergemeinschaft mit der Papierfabrik eingegangen und hatte dies nicht im Formblatt „V Bietererklärung C“ eingetragen. Es war jedoch nie die Absicht der Antragstellerin und der Papierfabrik den Auftrag gemeinschaftlich zu erhalten und durchzuführen. Die Antragstellerin nahm als Einzelbieterin an der Ausschreibung teil, was sich eindeutig aus dem Angebot ergibt. Die Abrede mit der Papierfabrik führt nicht dazu, den gegenständlichen Auftrag gemeinschaftlich erhalten und durchführen zu wollen. Die Papierfabrik sicherte lediglich feste Erlöskonditionen für den Fall der Zuschlagserteilung an die Antragstellerin zu.


Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat angeboten, was die öffentliche Auftraggeberin nachgefragt hat. Die Preisblätter 1 und 2 erfüllen die Anforderungen an eine eindeutige Leistungsbeschreibung. Im Preisblatt 1 waren nicht nur Aufwendungen für eigene Leistungen einzupreisen, es mussten dort auch die Erlöse aus der Vereinbarung mit der Papierfabrik eingepreist werden. Ordnungsgemäß kalkuliert war durch die Antragstellerin ein Negativpreis anzugeben, was vergaberechtlich unbedenklich ist.
Es handelt sich auch nicht um Änderung der Vergabeunterlagen, wenn der Bieter anders kalkuliert als es der Auftraggeber erwartet. Die Antragsgegnerin hatte an die Ausschreibung andere Erwartungen geknüpft, als es das Angebot der Antragstellerin widerspiegelte. Es wurde nicht bedacht, dass für die Bieter weitgehend Kalkulationsfreiheit besteht. Die eigenen Vorstellungen der Antragsgegnerin in Bezug auf die Preisblätter ändern hieran nichts. Der Bieter ist nicht daran gehindert, seine geschäftlichen Interessen und Vorstellungen zu verfolgen, wenn das Leistungsverzeichnis dies zulässt. Das ist vom Auftraggeber hinzunehmen oder die Vergabeunterlagen sind so zu gestalten, dass ein Abweichen von den Vorstellungen des Auftraggebers nicht möglich ist.


Auch der Vorwurf der Abgabe eines Spekulationsangebotes wurde nicht bestätigt. Spielräume zum Nachteil der öffentlichen Hand in einem Leistungsverzeichnis auszuschließen ist Sache des Auftraggebers. Die Antragsgegnerin hatte es unterlassen einen Mindesterlös für den Handel auf dem Altpapiermarkt festzulegen. Diesen Spielraum haben die Bieter mit unterschiedlicher Ausprägung genutzt. Schlussendlich ist die Antragstellerin nicht verpflichtet, der Zielsetzung der Ausschreibung – evtl. sogar zum eigenen Nachteil – gerecht zu werden. Das Vergaberecht soll gerade nicht gewährleisten, dass der öffentliche Auftraggeber sich risikolos am Markt bewegen kann.

Praxistipp:
Unabhängig von den eigenen Vorstellungen und Erwartungen ist objektiv zu prüfen, ob das vorliegende Angebot die bekannt gemachten und damit transparenten Anforderungen erfüllt. Bestehen dann weiterhin Unklarheiten in Bezug auf den Angebotsinhalt, die nach Auffassung der Vergabestelle einen Ausschluss begründen, muss zwingend die Aufklärung des Angebotsinhalts erfolgen. Der Ausschluss eines Bieters ohne Aufklärung des Angebotsinhalts ist vergaberechtlich grundsätzlich nicht statthaft.

VK Westfalen, Beschluss vom 20.08.2020 (Az.: VK 3-19/20)

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