OLG Frankfurt a.M.: Anforderungen an eine Rüge, Vermengung von Eignungs- und Wertungskriterien

 
Rügen in „Blaue hinein“ sind nicht erfolgversprechend. Für die Erkennbarkeit eines vergaberechtlichen Verstoßes ist auf den durchschnittlichen Bieter und dessen laienhafte rechtliche Wertungsmöglichkeiten abzustellen.
 
Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb in einem EU-weiten Verfahren Reinigungsleistungen für eine Hochschule aus. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit waren zwei Referenzprojekte gefordert. 
Festgelegte Zuschlagskriterien waren Preis (60 %), durchschnittlicher Leistungswert aller Raumgruppen (35 %) und Referenzen (5 %). Erbrachte ein Bieter die erforderlichen Referenzen, so erhielt er die volle Punktzahl von 5.
 
Die Antragstellerin (Ast.) gab ein Angebot ab. Mit Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB teilte die Ag. der Ast. mit, dass der Zuschlag an einen Wettbewerber erteilt werden solle. Daraufhin rügte die Ast. zum einen die Doppelverwertung der Referenzen als Eignungs- und Wertungskriterium und zum anderen die Unauskömmlichkeit des Angebotes des Zuschlagsbieters, da ihr eigenes Angebot bereits sehr knapp kalkuliert gewesen sei und deshalb nicht noch weiter unterschritten werden könne. Die Ag. habe die gebotene Aufklärung versäumt. Die Ag. half der Rüge nicht ab, woraufhin die Ast. einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer stellte, der zurückwiesen wurde. Dagegen legte die Ast. sofortige Beschwerde beim OLG Frankfurt a. M. ein. 
 
Beschluss:
Ohne Erfolg! Der Nachprüfungsantrag war nach Ansicht des OLG bereits unzulässig. 
 
1. Hinsichtlich der unzulässigen Vermengung von Eignungs- und Wertungskriterien ist die Rüge der Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Für die Erkennbarkeit eines vergaberechtlichen Verstoßes sei auf den durchschnittlichen Bieter und dessen laienhafte rechtliche Wertungsmöglichkeiten abzustellen. Dieser kenne nach Auffassung des Vergabesenates die Grundstrukturen des Vergabeverfahrens und damit auch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Eignungs- und Wertungskriterien. Der durchschnittlichen Bieter wisse, dass Eignungs- und Wertungskriterien zu trennen seien. Es genüge die Erkenntnis, dass es „so nicht geht“.
 
Insofern hätte die Ast. bereits bei der Angebotserstellung erkennen müssen, dass die Referenzen sowohl als 
Eignungs- als auch als Wertungskriterium Berücksichtigung finden. Sie hätte erkennen müssen, dass die Referenzen auch bei den Wertungskriterien als „erforderlich“ bezeichnet wurden und eine abgestufte Wertung ist nach dem Wortlaut nicht vorgesehen war. Schon daraus hätte die Ast. schließen können, dass die Ag. Eignungs- und Wertungskriterien nicht hinreichend voneinander getrennt habe. Denn selbst wenn sie annähme, dass die Ag. hier Unterschiedliches habe prüfen wollen, fehle jeder Anhaltspunkt, was dann Gegenstand der Eignungsprüfung und was Gegenstand der Wertung sein sollte. Allein diese Erkennbarkeit begründe eine Rügeobliegenheit hinsichtlich der Unzulässigkeit der Verwertung der Referenzen bei der Wertung nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB und schließe eine Rüge erst nach Angebotsabgabe aus.
 
 2. Hinsichtlich der behaupteten Unauskömmlichkeit Angebotes des Zuschlagsbieters verneint der Vergabesenat die Antragsbefugnis der Ast. da diese in ihrer Rüge keine hinreichenden Umstände dafür dargelegt habe. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, sich auf nur vermutete Tatsachen zu stützen. Dabei müsse die Ast. jedoch Anhaltspunkte vortragen, die diese Vermutung soweit plausibilisierten, dass sie mehr sind als eine nur abstrakte Möglichkeit darstellen. Der Vortrag dürfe nicht willkürlich „ins Blaue hinein“ erfolgen. Die Antragstellerin müsse objektive Anhaltspunkte vortragen, weshalb sie ihre Behauptung für möglich oder wahrscheinlich halten darf. Der Vortrag der Ast., ein niedrigerer als der von ihr kalkulierte Stundenverrechnungssatz könne nicht auskömmlich sein, reiche dafür nicht aus. 
 
Praxistipp:
Auch wenn die VK Baden-Württemberg (Beschluss vom 12.11.2019 – 1 VK 62/19) und die VK Sachsen (Beschuss vom 02.04.2019) von einem Bieter nicht erwarten, dass er eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und 
Zuschlagskriterien erkennen muss, sollten Bieter die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. beachten, das dies anders bewertet und vergaberechtliche Expertise bei Bietern unterstellt.
 
Stellt ein Bieter bei der Auswertung der Vergabeunterlagen fest, dass diese unklar oder widersprüchlich sind, oder ist er der Auffassung, dass die Unterlagen gegen geltendes Recht verstoßen, muss er die Vergabestelle umgehend darauf hinweisen, um nicht später mit seinem (berechtigten) Vorbringen präkludiert zu sein. Vergaberechtliche Kenntnisse dürften für die Beteiligung an einem Vergabeverfahren immer wichtiger werden. Im Zweifel sollten sich Bieter vergaberechtlich beraten lassen. 
 
Sofern ein Bieter die Unauskömmlichkeit eines Wettbewerbsangebotes beanstanden möchte, muss er dazu so fundiert und plausibel vortragen. Der bloße Hinweis auf die eigene knappe Angebotskalkulation reicht insofern nicht aus.
 
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 04.12.2023 - 11 Verg 5 / 23

Ihr persönlicher Kontakt Steffen Müller
Telefon: 0895116-3172
E-mail schreiben