VK Thüringen: Offenkundige Schreibfehler dürfen korrigiert werden

 
Offenkundige Rechen- oder Schreibfehler, die schon nach ihrem Erklärungsinhalt keine inhaltlichen Änderungen der Vergabeunterlagen darstellen, sind keine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen. Bei offenkundigen und marginalen Eintragungsfehlern kann der öffentliche Auftraggeber, soweit das möglich ist, die notwendigen Berichtigungen selbst vornehmen.
 
Sachverhalt:
In einem EU-weiten Verfahren, werden von den Bietern in den Vergabeunterlagen für dieselbe Leistungsposition an verschiedenen Stellen unterschiedliche Preis- und Teilkostenangaben gefordert. Im Leistungsverzeichnis ist der angebotene Einheitspreis (EP) anzugeben. Dieser ist in einem zweiten Formblatt ("Aufgliederung der EP") in die Teilkosten Lohn, Stoffe usw. aufzuschlüsseln. In einem dritten Formblatt ("Stoffpreisgleitklausel") ist für bestimmte Positionen der im EP enthaltene Kostenanteil für bestimmte Stoffe anzugeben. Als Abrechnungseinheit vorgegeben ist jeweils Euro pro Quadratmeter ("Euro/qm"). Bieter B trägt alle Preise und Teilkosten ein, ändert jedoch in einem der beiden Formblätter mit seiner Preisangabe die voreingetragene, nicht schreibgeschützte Einheit in "Euro/m" ab. Der Auftraggeber stuft dies als unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen ein und schließt das Angebot aus. B rügt daraufhin mit der Begründung, sein Schreibfehler dürfe nicht zum Ausschluss führen und wendet sich an die zuständige Vergabekammer.
 
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Änderung der Mengeneinheit im Zusammenhang der Eintragungsmodalitäten betrachtet, stellt keine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen dar. Eine unzulässige Änderung liegt vor, wenn eine andere Leistung angeboten wird als die Ausgeschriebene. In diesem Fall weicht das Angebot inhaltlich von den Vergabeunterlagen ab. Der Abgleich erfordert zunächst eine Auslegung sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont. Dabei ist der Wortlaut der Erklärung ein zentraler, aber nicht der einzige zu würdigender Gesichtspunkt. Zu berücksichtigen sind auch begleitende, dem Empfänger bei Zugang der Erklärung erkennbare Umstände. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich vorliegend, dass B ein Eintragungsfehler unterlaufen ist, der keine Änderung des Inhalts bezweckte. Für einen Schreibfehler spricht, dass das zeitgleich von B eingereichte Formblatt "Aufgliederung der Einheitspreise" in der derselben Position keine Abänderung der Mengeneinheit aufweist. Der Auftraggeber musste daher im Rahmen der Auslegung des Angebots davon ausgehen, dass die Bieterangabe "Euro/m" statt "Euro/qm" auf einem Schreibfehler beruht, so dass es bereits an einer inhaltlichen Änderung der Vergabeunterlagen fehlt.
 
Praxistipp:
Die Entscheidung der VK Thüringen bestätigt die bisherige Rechtsprechung zu diesem Thema: Ein Angebotsausschluss ist die letzte zu treffende Maßnahme. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss in einem ersten Schritt geklärt werden, ob die Vergabeunterlagen gegebenenfalls nach Auslegung, doch eindeutig zu verstehen sind.
 
VK Thüringen, Beschluss vom 10.05.2023, AZ.: 4002-812-2023-E-003-SM
 
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