OVG Schleswig-Holstein: Fördermittelrückforderung wegen Verstoß gegen vergaberechtliches Vorgehen


Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die prüfende Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheids in Betracht kommt.

Sachverhalt:
Ausgeschrieben war im Kontext nationaler "Feuerwehrförderung", ein Löschfahrzeug für eine Kommune. Der Auftraggeber (AG) begeht als Zuwendungsempfänger mehrere Vergabeverstöße gegen die im Zuwendungsbescheid enthaltenen Vergabeauflagen "VOL/A". Der Zuwendungsgeber (ZG) widerruft daraufhin 100% der Fördermittel. Das Argument des AG, der ZG müsse im Rahmen seines Ermessens den konkreten Einzelfall berücksichtigen, wird nicht abgeholfen. Mangels ermessenslenkender landesrechtlicher Vorgaben müsse bei schweren Vergabeverstößen voll gekürzt werden. Nach erfolgloser Klage legt AG Berufung ein.

Beschluss:
Mit Erfolg. Zwar wurde in mehrfacher Hinsicht schwere Verstöße gegen die Vergabeauflage "VOL/A" begangen, es müssen jedoch bei einem vom Regelfall abweichenden Sachverhalt besondere Umstände bei der Entscheidung berücksichtigt werden.

 

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt stets, dass die Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob nicht ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Bescheids in Betracht kommen könnte. Daran fehlt es hier, weil er fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass ihm nur hinsichtlich des "Ob" des Widerrufs, nicht aber hinsichtlich der Höhe der Rückforderung ("Wie") ein Ermessen zusteht. Es hätte dabei geprüft werden müssen, inwieweit die Schwere der Pflichtverstöße beachtlich sind. Im zweiten Schritt wäre zu prüfen gewesen, ob und inwiefern sich die Verstöße auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auswirken. Drittens war zu berücksichtigen, dass der Widerruf einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasst und eine hohe Rückzahlungspflicht auslöst, die für den Zuwendungsempfänger (AG) wohl eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Widerruf auf bestimmte Zeiträume oder in anderer Weise zu beschränken ist. Eine derartige Sachlage bietet vom Regelfall eines Widerrufs abweichende Umstände, die eine andere Entscheidung als den vollständigen Widerruf des ergangenen Bescheids als möglich und gegebenenfalls sogar als geboten erscheinen lassen.

Praxistipp:
Die Entscheidung stellt klar, dass es in der "Widerrufsprüfung" keineswegs mit der bloßen Feststellung eines formalen Auflagenverstoßes getan ist (= Tatbestandsseite). Vielmehr beinhaltet das Prüfprogramm des Zuwendungsgebers auch eine rechtkonforme Ermessensausübung im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (= Rechtsfolgenseite).

OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.08.2022, Az.: 5 LB 9/20

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