VK Baden-Württemberg: Übermittlung der Vorabinformation grundsätzlich nur an Bieter oder Bewerber

 

Adressaten der Informationspflicht des § 134 Abs. 1 GWB sind grundsätzlich nur Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, und Bewerber i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 Richtlinie 2014/24/EU.

 

Gibt ein Unternehmen kein Angebot ab, weil es sich an der Angebotsabgabe gehindert sieht, stellt aber nach erfolgloser Rüge keinen rechtzeitigen Nachprüfungsantrag, kann die Vergabestelle davon ausgehen, dass das betreffende Unternehmen seine Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB nicht weiterverfolgt.

 

Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb im Offenen Verfahren die Erbringung von Leistungen der Baulogistik und Bauentsorgung für einen Neubau europaweit aus. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Antragstellerin (Ast.) und weitere Bieter stellten im Laufe des Vergabeverfahrens verschiedene Fragen zur Leistungsbeschreibung über die verwendete e-Vergabeplattform.

 

Die Ast. beanstandete, dass ihre Bieterfragen nicht vollständig beantwortet worden seien und die Ag. damit ihrer Verpflichtung zur eindeutigen und vollständigen Leistungsbeschreibung nicht nachgekommen sei. Die Ast. teilte ferner mit, dass sie nach erfolgter Rechtsberatung bei einer möglichen Zuschlagserteilung auf derzeitiger Basis der Ausschreibungsunterlagen sofort einen Nachprüfungsverfahren bei der zuständigen Vergabekammer einleiten werde und regte erneut an, die Vergabeunterlagen vergabegerecht umzugestalten.

 

Nachdem die Ag. den Rügen der Ast. nicht abhalf, teilte diese der Ag. mit, dass sie trotz ihres großen Interesses an einer Angebotsabgabe auf eine Angebotsabgabe verzichten müsse. Der Zuschlag wurde auf das einzig vorliegende Angebot erteilt, ohne die Ast. gem. § 134 Abs. 1 GWB vorab zu informieren. Daraufhin stellte die Ast. einen Nachprüfungsantrag bei der VK Baden-Württemberg.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg! Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig war, war er unbegründet. Die Ag. habe nicht gegen die Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 GWB verstoßen. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift sei nicht eröffnet. Ein Verstoß gegen § 134 GWB könne nach dem Wortlaut der Norm nur gegenüber Bietern, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen (Abs. 1 S. 1), und gegenüber Bewerbern (Abs. 1 S. 2) erfolgen. Die Ast. habe kein Angebot abgegeben und sei damit kein Bieter im Sinne des § 134 Abs. 1 S. 1 GWB.

Auch habe die Ast. keine Bewerberstellung im Sinne des § 134 Abs. 1 S. 2 GWB inne. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 RL 2014/24/EU werde mit Bewerber ein Wirtschaftsteilnehmer bezeichnet, "der sich um eine Aufforderung zur Teilnahme an einem nichtoffenen Verfahren, einem Verhandlungsverfahren, einem wettbewerblichen Dialog oder einer Innovationspartnerschaft beworben hat oder eine solche Aufforderung erhalten hat" (Dreher/Hoffmann, in: Beck VergabeR, 4. Aufl. 2022, GWB, § 134 Rn. 26).

 

Vorliegend handelte es sich um ein Offenes Verfahren, sodass ein solcher formeller Bewerberbegriff mangels entsprechender Vergabeverfahrensart nicht zur Anwendung gelange. Eine Informationspflicht gegenüber Interessenten, die der Auftraggeber in objektiv vergaberechtswidriger Weise dazu veranlasst habe, keine Bewerbung oder kein Angebot abzugeben, komme zumindest in direkter Anwendung des § 134 Abs. 1 GWB nicht in Frage.

Zwar werde teilweise vertreten, dass auch für den Auftraggeber erkennbar am Auftrag interessierte Unternehmen informationsberechtigt seien (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.09.2012, VII-Verg 39/09 Verg, zu § 13 VgV in der bis zum 24.4.2009 geltenden Fassung; Braun, in: Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, GWB § 134, Rn. 26).

Diese Auffassung werde unter Heranziehung der RL 89/665/EWG begründet (vgl. Braun, in: Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, GWB § 134, Rn. 26). In Art. 1 Abs. 3 S. 1 bestimme die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellten, dass das Nachprüfungsverfahren zumindest jedem zur Verfügung stehe, der ein Interesse an dem Auftrag habe und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden sei beziehungsweise zu entstehen drohe. Nach dieser Auffassung drohe mit der Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 134 GWB auf Interessenten keine Gefahr einer Popularklage, da die Interessenten ein subjektives Interesse an dem Auftrag gezeigt haben müssen (ebd.).

Vorliegend habe die Ast. ihren Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht rechtzeitig eingereicht. Vor diesem Hintergrund sei es für die Antragsgegnerin auch nicht mehr erkennbar gewesen, ob die Ast. ein berücksichtigungsfähiges Interesse an dem Auftrag hatte. Nach Ablauf der Antragseinreichungsfrist von 15. Kalendertagen ab der Rügeantwort der Ag. durfte die Ag. vielmehr davon ausgehen, dass die Ast. ihre Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB nicht mehr weiterverfolgt.

Die Frage, ob § 134 GWB über seinen Wortlaut hinaus auch auf Interessenten Anwendung findet, könne vorliegend folglich dahinstehen.

 

Praxistipp:

Die Entscheidung stellt klar, dass der Versand der Vorabinformationsschreiben grundsätzlich nur an Bieter bzw. Bewerber erfolgen muss.

Die Vergabekammer hat jedoch offengelassen, ob § 134 GWB analog auch auf Interessenten Anwendung findet. Vergabestellen sollten daher anlassbezogen prüfen und berücksichtigen, ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, der eine Vorinformationspflicht des Ag. gegenüber einem (lediglich) erkennbar am Auftrag interessierten Unternehmen begründet. Im Zweifel empfiehlt es sich, auch einen solchen Interessenten über die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu informieren.

 

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.06.2022 - 1 VK 17/22

 

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