VK Mecklenburg-Vorpommern: Politische Neubewertung als Aufhebungsgrund

28.09.2023: Mangels Kontrahierungszwang ist eine Aufhebung des Vergabeverfahrens grundsätzlich immer möglich. Ein Anspruch auf Fortsetzung eines Vergabeverfahrens kommt nur ausnahmsweise in Betracht.

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin (AG) beabsichtigt die Neuerrichtung eines Schwimmbades, Überlegungen zur Machbarkeit waren Gegenstand einer Studie aus dem Jahr 2018.

Die Ausschreibung der Neuerrichtung des Sportschwimmbades erfolgte im Offenen Verfahren, hier das Los 16, WDVS Arbeiten (Anm.: WDVS = Wärmedämmverbundsystem). Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Angebotsfrist endete am 24.06.2021. Aus dem Protokoll zur Angebotsöffnung ergab sich, dass drei Angebote abgegeben wurden. Das Angebot der Antragstellerin (ASt) wies den niedrigsten Angebotspreis aus.

 

Im Rahmen der Entwurfsplanung sollten Kosten reduziert werden. Einsparungen erfolgten zum größten Teil an der nördlichen Fassade. Dort war lediglich der Zugang zum Betriebshof geplant, hohe architektonische Ansprüche an die Fassade wurden daher als nicht zwingend erachtet. Durch einen im Verlauf des Vergabeverfahrens gefundenen Mieter, eine Physiotherapiepraxis, hat sich die Nutzung der Zuwegung nach Ansicht der AG deutlich geändert. Es war mit einer deutlich höheren Frequentierung durch Gäste zu rechnen. Die geplanten Einsparungen an der Fassade sollten nach Möglichkeit revidiert werden. Das Verfahren wurde durch die AG aufgehoben, „weil eine ganz entscheidende Abänderung der bisherigen Bauabsicht, welche durch die Vergabeunterlagen ausgedrückt wird, erfolgt.“ Mit der Begründung, dass die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen, unterrichtete die AG die Bieter mit dem Formblatt 352 über die Aufhebung des Vergabeverfahrens. Eine Mitteilung zum weiteren Vorgehen erhielt die ASt nicht.

 

Durch Ihren Verfahrensbevollmächtigten wandte sich die ASt an die AG und stellte den Aufhebungsgrund in Abrede. Gerügt wurde die Ordnungsmäßigkeit des Vergabeverfahrens, insb. aber die Rechtswidrigkeit der Aufhebung. Diese entspreche nicht den Anforderungen des § 17 EU VOB/A. Eine Reaktion der AG auf die Rüge der ASt blieb aus. Die ASt stellte einen Nachprüfungsantrag. Es sollte festgestellt werden, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtswidrig und die ASt in ihren Rechten verletzt ist.

 

Entscheidung:

Mit Erfolg! Die Aufhebung des Vergabeverfahrens erfolgte rechtswidrig, die ASt wurde durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt. Zwar hat die ASt keinen Anspruch auf Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens. Von dem Anspruch auf Fortsetzung eines Vergabeverfahrens ist aber die Frage zu trennen, ob die Aufhebung vergaberechtlich zulässig war.

 

Aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Es besteht kein Kontrahierungszwang. Ein Anspruch auf Fortsetzung eines Vergabeverfahrens kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Als Beispiele werden die willkürliche Aufhebung oder, wenn einem anderen Bieter der Zuschlag erteilt werden soll, angeführt.

 

Die ursprüngliche Leistungsanforderung – die Anbringung einer Fassade mit WDVS-Flächen – ist nach wie vor unstreitig einhaltbar. Die technische Ausführung ist weder unmöglich noch rechtswidrig. Konstruktive und ästhetische Abstriche, die AG und Architekt an der favorisierten Ausführung gemacht hatten, sind genau wie die Rückkehr zum ursprünglichen Planungsentwurf rein interne Vorgänge. Die Durchführung der ursprünglichen Planung war nicht unzumutbar. Die Entscheidung, die Fassade doch anders zu gestalten, reduziert sich im Wesentlichen auf eine ästhetische Neubewertung. Von der AG im Vermerk vom 08.09.2021 angeführte Minderkosten fallen unter Berücksichtigung des Gesamtinvestitionsvolumens nicht ins Gewicht. Auch die Erzielung von Mieteinnahmen, die sich kostensenkend auswirken, gehörte von Anfang an zum Konzept. Dies geht aus der Machbarkeitsstudie mit Stand Januar 2019 hervor. Die ursprünglichen Leistungsanforderungen für AG und Bieter sind weiterhin zumutbar. Es kommt auf die Frage, ob Änderungen mit den Regelungen der VOB/B aufgefangen werden können, nicht mehr an. Es bleibt zwar dem AG vorbehalten, nach dem Vertragsschluss Änderungen des Bauentwurfs anzuordnen, ggf. mit Auswirkungen auf den Preis. Vorliegend hätte eine Bauausschreibung nur unter den Voraussetzungen von § 17 EU Abs. 1 VOB/A aufgehoben werden können.

 

Praxistipp:

Es gibt keinen Kontrahierungszwang, eine Aufhebung ist daher grundsätzlich möglich. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit der Rechtmäßigkeit der Aufhebung. In der Praxis ist daher die Trennung zwischen der Möglichkeit einer Aufhebung und deren vergaberechtlicher Bewertung zu beachten.

 

Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.03.2022, Az.: 1 VK 8/21

 

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