VK Sachsen: Anforderungen an die Preisprüfung und Einhaltung des festgelegten Kommunikationsweges


26.09.2023: Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Überprüfungspflichten des Auftraggebers entstehen erst, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an den Angaben des Bieters wecken könnten und sein Leistungsversprechen als nicht plausibel erscheinen lassen. Ein für das Verfahren festgelegter Kommunikationsweg ist zwingend einzuhalten. 

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin (Ag.) schrieb in einem EU-weiten Vergabeverfahren die Lieferung von Server- (Los 1) bzw. Speichertechnik (Los 2), inkl. Software (Lizenzen) sowie Wartung und Pflege aus. Zuschlagskriterien waren der Preis zu 40 % und die Leistung zu 60 %. Nach den Bewerbungsbedingungen sollte die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über die eingesetzte elektronische Vergabeplattform erfolgen.

 

Nach Erhalt des Informationsschreiben gemäß § 134 GWB rügte die Antragstellerin (Ast.) die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene (B.). Die Ag. habe das Angebot der B. nicht ordnungsgemäß überprüft und aufgeklärt. Andernfalls wäre offenkundig geworden, dass deren Angebot gegen vier verschiedene A-Kriterien des Leistungsverzeichnisses verstoße und daher nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV bzw. den Bewerbungsbedingungen bereits auf der ersten Wertungsstufe vom Vergabeverfahren auszuschließen gewesen wäre. Die Ast. führte detailliert zu den vier A-Kriterien aus. Zudem sei davon auszugehen, dass eine Prüfung des von der B. angebotenen Preises nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Die Ast. habe ihr eigenes Angebot bei hoher Qualität bereits sehr kostengünstig kalkuliert, um ein wettbewerbsfähiges Angebot einzureichen. Es sei daher anzunehmen, dass die B. angesichts der Gewichtung der Leistung von 60 % ein eklatant günstigeres Angebot eingereicht habe, um die Qualitätsvorteile des antragstellerseitigen Angebotes zu unterbieten. Dieser preisliche Abstand hätte nach § 60 VgV kritisch aufgeklärt werden müssen, mit dem Ergebnis, dass der angebotene Preis unangemessen niedrig sei oder die angebotene Leistung den hohen Anforderungen der Ausschreibung nicht entspreche.

 

Die Ag. half der Rüge nicht ab und trug vor, dass die angegriffenen Kriterien im Rahmen der Angebotsprüfung auch aus fachlich technischer Sicht verifiziert worden seien und eine ordnungsgemäße Preisaufklärung stattgefunden habe.

 

Nach Nichtabhilfe beantragte die Ast. die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer und führte zur Begründung u.a. vorgenannte Punkte auf. Zudem machte sie nach Akteneinsicht geltend, dass das Angebot der B. gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen verspäteter Antwort auf ein per E-Mail an die B. übermitteltes Nachforderungs- und Aufklärungsverlangen von der Wertung hätte ausgeschlossen werden müssen.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg! Der zulässige Nachprüfungsantrag war unbegründet.

 

Die Ast. sei ihrer Pflicht zur Aufklärung der Preise nach § 60 Abs. 1 VgV nachgekommen. Die von der Rechtsprechung entwickelte Aufgreifschwelle von 20 % für Liefer- und Dienstleistungen sei vorliegend überschritten und der Ag. habe das Angebot der B. nach durchgeführter Aufklärung als auskömmlich bewertet.  Diese Prognoseentscheidung des Ag. unterliege nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Vergabekammer. Die Nachprüfung habe ergeben, dass die Prognoseentscheidung des Ag. zur Auskömmlichkeit des Angebotes auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen worden sowie nachvollziehbar und vertretbar sei.

 

Zum Ablauf einer Preisprüfung führte die Kammer aus: In einem ersten Schritt identifiziere der öffentliche Auftraggeber zweifelhafte, d. h. niedrige Angebote und prüfe, ob der Preis oder die Kosten dieses Angebots ungewöhnlich niedrig zu sein "scheinen". In einem zweiten Schritt habe der Auftraggeber dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, die Gründe darzulegen, aus denen er der Ansicht ist, dass sein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig sei. Der Auftraggeber habe sodann in einem dritten Schritt die Stichhaltigkeit der gegebenen Erläuterungen zu beurteilen und festzustellen, ob das in Rede stehende Angebot ungewöhnlich niedrig sei. In einem vierten Schritt habe er seine Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung dieser Angebote zu treffen.

 

Das Angebot der B. wäre auch nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen verspäteter Antwort auf ein von der Ag. per E-Mail an die B. übermitteltes Nachforderungs- und Aufklärungsverlangen von der Wertung auszuschließen gewesen. Für eine wirksame Nachforderung von Unterlagen unter Fristsetzung wäre es erforderlich gewesen, dass das Nachforderungsschreiben der Ag. bei der B. so in deren Machtbereich gelangt wäre, dass sie unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit gehabt hätte, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Davon sei jedoch vorliegend nicht auszugehen. Mit den Bewerbungsbedingungen der Ag. sei - im Wege einer Selbstbindung - klargestellt worden, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über die Vergabeplattform erfolgen sollte. Daran habe sich die Ag. zuvor gehalten, indem sie sämtliche Bieteranfragen und Antworten sowie in Los 1 auch die Kommunikation zu Zuschlagsentscheidungen ausschließlich über die Vergabeplattform abgewickelt habe. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung sei ausgeschlossen. Zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und dem jeweiligen Bieter käme spätestens ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichte und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründe. Es widerspräche diesen Rücksichtnahmepflichten, wenn anstelle einer mit wenig Mühen verbundenen nochmaligen ordnungsgemäßen Versendung der Information über die Vergabeplattform oder zumindest dem Nachfragen nach dem Erhalt der E-Mail nichts weiter unternommen werde, selbst dann nicht, wenn die gesetzte Nachforderungsfrist fruchtlos abgelaufen sei, ohne dass man irgendeine Reaktion von der Beigeladenen erhalten habe. Unter diesen Umständen sei es treuwidrig, sich auf den formalen Zugang des Nachforderungsschreibens zu berufen, eine Frist zur Beantwortung sei mithin nicht wirksam ausgelöst worden.

 

Das Angebot der B. sei auch nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV bzw. den Regelungen der Bewerbungsbedingungen wegen Änderung an den Vergabeunterlagen im Hinblick auf die technischen A-Kriterien vom Vergabeverfahren bereits auf der ersten Wertungsstufe auszuschließen. Eine Änderung der Vergabeunterlagen läge dann vor, wenn das Angebot eines Bieters eine Vorgabe der Vergabeunterlagen nicht einhalte bzw. wenn der Bieter den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen einschränke oder erweitere. Ob eine solche Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliege, sei anhand einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots zu ermitteln. Dabei sei auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, abzustellen.

 

Ein öffentlicher Auftraggeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten würden - vielmehr dürfe er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Überprüfungspflichten des Auftraggebers entstünden erst dann, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorlägen, die Zweifel an den Angaben des Bieters wecken könnten und das Leistungsversprechen des Bieters als nicht plausibel erscheinen ließen. In diesen Fällen müsse er bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen der Bieter effektiv zu verifizieren.

Daneben trete der im Nachprüfungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz, der die Nachprüfungsinstanzen zur umfassenden Erforschung des für die geltend gemachte Rechtsverletzung relevanten Sachverhalts verpflichte. In die Überprüfung einer angegriffenen Zuschlagsentscheidung könnten alle Gründe mit einbezogen werden, die Grundlage der Entscheidung der Vergabestelle gewesen seien. Dieser Untersuchungsgrundsatz sei nicht nur zu beachten, wenn es um die Aufklärung des Sachverhalts zu den von den Beteiligten zulässigerweise geltend gemachten vergaberechtlichen Verstößen geht, sondern wäre auch bei der Frage berührt, ob die Vergabekammer verpflichtet oder zumindest berechtigt sei, darüber hinaus weitere Vergaberechtsverstöße zu ermitteln und ggf. in ihre Beurteilung (vor allem) bei der Endentscheidung einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund sei aufgrund der dezidiert vorgetragenen Vorwürfe zu untersuchen, ob das Angebot der B. die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses erfülle.

 

Die Kammer setzte sich im Folgenden ausführlich mit den von der Ast. angegriffenen A-Kriterien auseinander. Sie konnte jedoch bei keinem der vier Kriterien eine ermessensfehlerhafte Überprüfung und Bejahung des Vorliegens der Anforderungen des Kriteriums durch die Ag. feststellen, was ein Eingreifen der Vergabekammer erfordert hätte. Eine abermalige Überprüfung des streitbefangenen Angebotes sei daher nicht anzuordnen.

 

Praxistipp:

Bestehen Zweifel an der Auskömmlichkeit eines Angebotes, muss vor einem Ausschluss oder einer Bezuschlagung des Angebotes zwingend eine Preisprüfung erfolgen. Vergabestellen sind gut beraten, dabei die von der VK vorstehend aufgeführten 4 Schritte zu beachten.

Sowohl Bieter als auch Vergabestellen müssen den für das Verfahren einmal festgelegten Kommunikationsweg konsequent einhalten. Dieser kann nicht nachträglich einseitig geändert werden.

 

VK Sachsen, Beschluss vom 14.04.2023, 1/SVK/003-23

 

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