Mai 2018: Rügeobliegenheit des Bieters: Welche inhaltlichen Anforderungen muss die Rüge erfüllen?


Nach § 97 Abs. 6 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) haben die Unternehmen einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Bei Ausschreibungen oberhalb der EU-Schwellenwerte können Vergabefehler in der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen spätestens bis zum Ablauf der Bewerbungs- beziehungsweise Angebotsfrist gerügt werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 2, 3 GWB). Ist nach Auffassung eines Unternehmens zum Beispiel die Frist für die Abgabe eines Angebots zu knapp bemessen, so muss dies gerügt werden. Wird der Rüge nicht abgeholfen, kann ein Nachprüfungsantrag innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang dieser Mitteilung gestellt werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB). Die im § 160 Abs. 3 GWB geregelte Rügepflicht der Bieter ist somit von zentraler Bedeutung für Zulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens.

Anlass das Thema Rügeobliegenheit des Bieters aufzugreifen, ist der jüngere Beschluss der Vergabekammer Thüringen, welcher sich mit den inhaltlichen Anforderungen an eine korrekte Rüge auseinandersetzt. Zum Verständnis der inhaltlichen Anforderungen einer Rüge nach muss man sich zunächst über den Sinn und Zweck der Rüge klar werden.

Sinn und Zweck der Rüge
Die Rüge soll dem Auftraggeber die Möglichkeit geben, mögliche Vergaberechtsverstöße frühzeitig selbst zu korrigieren und damit ein Nachprüfungsfahren zu verhindern. Sie ist eine Pflicht des Bieters. Begründet wird sie mit Hinweis auf das im Rahmen der Teilnahme an einem Vergabeverfahren zwischen der Vergabestelle und den einzelnen Bietern bestehende vorvertragliche Vertrauensverhältnis. Dieses verpflichtet die Beteiligten zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Der Auftraggeber sollte deshalb die Rüge als Chance und nicht als Konfrontation mit dem Bieter sehen. Sie bewahrt den Auftraggeber vor nachteiligen Folgen von Verfahrensfehlern. Auch die Bieter sollten diesen positiven Aspekt der Rüge sehen und nicht fürchten, eine Rüge könnte die Geschäftsbeziehung mit einem öffentlichen Auftraggeber gefährden.

Auswirkungen der Rüge
Die Rüge ist zunächst einmal Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags und als Sachentscheidungsvoraussetzung von der Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen. Des Weiteren hat die Rüge eine Präklusionswirkung. Der Bieter kann sich im Nachprüfungsverfahren nicht auf Vergaberechtsverstöße berufen, die er nicht vorab gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Nur mittels der Rüge kann sich der Bieter die Möglichkeit eines späteren Nachprüfungsverfahrens offen halten. Zu beachten ist, die Rügeverpflichtung bezieht sich auf jeden einzelnen Vergaberechtsverstoß.

Form der Rüge
Eine besondere Form sieht § 160 Abs. 3 GWB für die Rüge nicht vor. Grundsätzlich sind danach auch mündliche Rügen, per Telefax oder per E-Mail zulässig. Hier kann sich jedoch das Problem des wirksamen Zugangs beim Auftraggeber stellen. Da der Bieter hinsichtlich seiner Rügeobliegenheit darlegungs- und beweispflichtig ist, sollte diese schriftlich oder bei Eilbedürftigkeit mindestens per E-Mail erfolgen. Den Zugang der E-Mail sollte sich der Bieter dann umgehend bestätigen lassen.

Inhalt der Rüge
Die Rüge muss die Person des Rügenden erkennen lassen. Bei Rügen juristischer Personen ist es zweckmäßig, sofern nicht ohnehin die gesetzlichen Vertreter handeln, eine Vollmacht beizufügen. Das gilt auch bei Erhebung der Rüge durch einen Rechtsanwalt. Zwingend ist die Vorlage einer Vollmacht jedoch nicht. Bei Bietergemeinschaften müssen alle Mitglieder rügen, sofern ein Mitglied als Vertreter der Bietergemeinschaft bestellt ist, muss dieser mit Vollmacht und im Namen der Bietergemeinschaft rügen.

Der Bieter muss die Rüge nicht als solche bezeichnen. Nach § 160 Abs. 3 GWB wird lediglich die Angabe von Verstößen gegen Vergabevorschriften gefordert. Im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes stellt die Rechtsprechung an die Rüge nur geringe Anforderungen. Notwendig ist jedoch, dass der Bieter dem Auftraggeber zweifelsfrei mitgeteilt, worin der vermeintliche Vergabeverstoß besteht, d.h. den Vergaberechtsverstoß benennt und inwiefern er vom Auftraggeber Abhilfe verlangt oder ein bestimmtes Begehren äußert. Hier liegt in der Praxis häufig das Problem, Bieter fassen ihre Schreiben nicht präzise genug ab und äußern lediglich allgemeine Fragen, Hinweise oder Kritik. Das zeigt auch eine jüngere Entscheidung der Vergabekammer Thüringen deutlich.

Die Vergabekammer Thüringen, hat mit Beschluss vom 12.10.2017, 250-4002-7955/2017-E-014-GTH das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rüge verneint und den Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig angesehen. Das führte dazu, dass sie von einer Übermittlung des Nachprüfungsantrages an den Auftraggeber gemäß § 163 Abs. 2 GWB abgesehen hat. Das Schreiben des Bieters an den Auftraggeber erfüllte nicht die Anforderungen, die an eine Rüge zu stellen sind. Das Schreiben beinhaltete lediglich Fragen an die Vergabestelle mit der Aufforderung der Aufklärung bis zu einem bestimmten Termin. Vermeintliche Verstöße oder eine Aufforderung an die Vergabestelle, vermeintliche Verstöße abzustellen, waren darin nicht enthalten. Der Text des Schreibens lautete:

Sehr geehrte Damen und Herren, die in Ihrem Absageschreiben genannte Formulierung – es (sind) nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfüllt – bitten wir um (zu) Konkretisierung (konkretisieren). Welche Bedingungen der Vergabeunterlagen wurden nicht erfüllt. Eine Nachforderung bzw. Aufklärung ihrerseits ist nicht erfolgt. Wir bitten um kurzfristige Rückantwort bzw. Aufklärung bis zum 25.08.2017.“

Die Vergabekammer hat in ihrem Beschluss deutlich gemacht, dass die Rüge objektiv und vor allem auch gegenüber dem Auftraggeber deutlich sei muss. Er muss erkennen können, welcher Sachverhalt aus welchem Grund vom Bieter als Verstoß angesehen wird, dass es sich nicht nur um die Klärung von Fragen, um einen Hinweis, Kritik oder Unverständnisses z. B. über den Inhalt der Ausschreibung oder Verfahrensabläufe und Entscheidungen handelt .Es muss deutlich werden, dass der Bieter von der Vergabestelle erwartet, dass der vermeintliche Verstoß behoben wird. Eine Nachfrage des Bieters bei dem Auftraggeber ist nicht als Rüge zu werten. Wegen des Zwecks der Rüge war vorliegend eine Umdeutung des Schreibens des Bieters in eine Rüge nicht möglich.

Daneben sollte der Bieter in der Rüge auch eine Frist bestimmen, bis zu der er eine Antwort der Vergabestelle erwartet. Wenn der Ablauf der Zuschlagsfrist nicht unmittelbar bevorsteht, sollte der Bieter die Entscheidung des Auftraggebers abwarten. Er muss dies jedoch nicht. Es ist möglich, den Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer unmittelbar nach Zugang der Rüge beim Auftraggeber zu stellen. In diesem Fall drohen dem Bieter bei Abhilfe der Rüge durch den Auftraggeber aber möglicherweise Kosten, wegen des verfrüht gestellten Nachprüfungsverfahrens, welches sich dann erledigt hat.

Im Übrigen sind bei einer Rüge rechtliche Ausführungen oder die Subsumtion unter eine vergaberechtliche Norm nicht nötig. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Bieter pauschale Behauptungen ohne tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vorbringen kann, die einen hinreichenden Verdacht auf einen Vergabeverstoß begründen.

Rügefrist
Vergaberechtsverstöße sind vom Bieter innerhalb von zehn Tagen nach deren Kenntnis zu rügen. Ein Sammeln von Fehlern, um eventuell bei nicht berücksichtigter Bewerbung gegen die Zuschlagsentscheidung vorgehen zu können, ist unzulässig. Die Frist wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 eingeführt.

Zum Umgang mit Rügen

Praxistipps für Vergabestellen:

  • Nehmen Sie eine Rüge ernst und betrachten Sie die Rüge als Möglichkeit, einen möglicherweise aufgetretenen Fehler zu korrigieren.
  • Vermeiden Sie bei der Beantwortung einer Rüge Höflichkeitsfloskeln wie: "Falls Sie noch weitere Fragen haben …", da diese die 15-Tagesfrist gemäß § 160 Absatz 3 Nr. 4 GWB nicht in Gang setzt.
  • Notwendig ist die Dokumentation in der Vergabeakte. Diese sollte sorgfältig, zeitnah und vollständig erfolgen: Wer hat wann welche Rüge erteilt und wann und wie wurde geantwortet.

 

Praxistipps für Unternehmen:

  • Unternehmen unterliegen einer strengen Rügeobliegenheit. Die Vergabeunterlagen sollten daher genau geprüft werden. Damit die Vergabestelle in die Lage versetzt wird, den gerügten Mangel abzustellen, muss die Rüge zum Ausdruck bringen, welcher Sachverhalt ihr konkret zugrunde gelegt und woraus im Einzelnen ein Vergabeverstoß abgeleitet wird.
  • Es gibt keine Vorgabe für eine Rüge. Der Ton macht allerdings die Musik: Die Rüge sollte in der Sache eindeutig und sachlich formuliert sein. Es empfiehlt sich, die Rüge schriftlich an die Vergabestelle zu richten.
  • Ein Vergaberechtsverstoß muss innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erkennen deutlich gegenüber dem Auftraggeber zum Ausdruck gebracht werden. Ein Sammeln von Fehlern, um eventuell bei nicht berücksichtigter Bewerbung gegen die Zuschlagsentscheidung vorgehen zu können, ist unzulässig
  • Teilt der Auftraggeber auf eine Rüge des Bieters mit, dass er dieser nicht abhelfen will, ist abzuwägen, ob ein Nachprüfungsantrag gestellt werden soll. Falls ja, muss dies innerhalb von 15 Kalendertagen erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist ist ein Antrag (zu einem bestimmten Fehler) unzulässig.

 

 

 

 

Stand: Mai 2018
 

Ihr persönlicher Kontakt Steffen Müller
Telefon: 0895116-3172
E-mail schreiben