OLG Rostock: Auch bei Vergaben äußerster Dringlichkeit ist Wettbewerb zu schaffen


Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV rechtfertigt allein kein gänzliches Absehen von einer Vergabe nach wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen (§ 97 Abs. 1. S. 1 GWB).

Sachverhalt:
In der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation hatte der Antragsgegner mit Vertrag vom 07.05.2020 ein Unternehmen, die Beigeladene, beauftragt, vom 08.05. bis 31.07.2020 anlasslose Massentestungen von Bewohnern und Mitarbeitern in Alten- und Pflegeheimen durchzuführen. Wegen der Berufung auf zwingende Dringlichkeit wurde der Beschaffungsbedarf unverzüglich ohne Durchführung eines Wettbewerbs gedeckt. Verhandlungen hat der Antragsgegner ausschließlich mit der Beigeladenen geführt; anderweitige Angebote wurden nicht eingeholt.
Die Antragstellerin - ein labormedizinisches Versorgungszentrum - wandte sich bereits am 24.04.2020 per E-Mail an die Ministerpräsidentin und teilte mit, dass die eigenen Testkapazitäten bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Es wurde angeboten, die Landesregierung mit flächendeckenden Corona-Testungen zu unterstützen. Von dem danach geschlossenen Vertrag des Antragsgegners mit der Beigeladenen erfuhr die Antragstellerin aus der Tagespresse. In der Direktvergabe an die Beigeladene sah die Antragstellerin einen Vergaberechtsverstoß und vertrat den Standpunkt, eine Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb sei unzulässig. Die Vorlaufzeit war ausreichend, um eine wettbewerbliche Vergabe durchzuführen, die Verhandlungen mit der Beigeladenen hatte der Antragsgegner bereits Ende März 2020 aufgenommen.
Nach Ansicht der Vergabekammer lag keine Verletzung der vergaberechtlichen Vorschriften vor. Die Antragstellerin wandte sich mit einer sofortigen Beschwerde an das Oberlandesgericht.

Beschluss:
Die Beschwerde hatte Erfolg! Eine Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV durfte nicht erfolgen, der angegriffene Vertrag ist somit unwirksam. Der Senat hält zwar den Tatbestand des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für erfüllt. Allerdings folgt daraus nicht, dass der Antragsgegner die Beigeladene im Wege der Direktvergabe beauftragen durfte, ohne Kontakt zu anderen potentiellen Bietern aufzunehmen. Vielmehr hätte der Antragsgegner bei pflichtgemäßer Ermessensausübung zumindest Wettbewerb „light“ ermöglichen und wenigstens ein Angebot der Antragstellerin einholen müssen.

Praxistipp:
Die vergaberechtlichen Sonderregelungen für die durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituationen können nicht unbeschränkt für alle mit der Pandemie in Zusammenhang stehenden Beschaffungen angewendet werden. Ein Direktauftrag ist dann zulässig, wenn der Beschaffungsbedarf akut ist und keinerlei Zeit für Markterkundung und Wettbewerb verbleibt. Auch im Fall einer zwingenden Dringlichkeit ist, sofern die Umstände es zulassen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zumindest ein Wettbewerb „light“ durchzuführen.

OLG Rostock Vergabesenat, Beschluss vom 09.12.2020, Az.: 17 Verg 4/20

 

 

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