Aufhebung ist wirksam, aber rechtswidrig = Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses

16.12.2022: Eine Prüfung muss erfolgen, wenn das Angebot 16 % vom nächsthöheren abweicht, weit unterhalb der Kostenschätzung liegt und der Bieter selbst den Preis seines ersten Angebots mit seinem finalen Angebot unterschreitet.

 

Sachverhalt:

Der Auftraggeber (AG) macht 2021 ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach den Maßgaben der VSVgV über einen Rahmenvertrag mit einer Laufzeit bis 31.12.2025 bekannt. Mit Schreiben vom 19.05.2022 informiert der AG die Bieter, er hebe das Vergabeverfahren nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV auf, da sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hätten. Die Vergabe der Leistungen sei mit geändertem Leistungsumfang beabsichtigt und werde zu einem späteren Zeitpunkt neu eingeleitet. Grund für die Aufhebung ist, dass ein zwingend vorgegebener Nachunternehmer am 17.05.2022 erklärt, er könne die geforderten Flugzeuge nur bis zum 30.06.2023 zur Verfügung stellen. Bieter A beantragt die Aufhebung der Aufhebung und hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung.

 

Beschluss:

A hat mit seinem hilfsweise vorgetragenen Antrag Erfolg.

Die zunächst vorgesehene Leistung kann nicht mehr in dem zeitlichen Rahmen umgesetzt werden, wie zunächst ausgeschrieben. Ein sachlicher Grund zur Aufhebung liegt vor. Die Wirksamkeit der Entscheidung, auf die weitere Durchführung des Vergabeverfahrens zunächst zu verzichten, schließt eine in der Hauptsache begehrte Aufhebung der Aufhebung bzw. die Fortführung des Vergabeverfahrens aus.

 

Die Aufhebung allerdings ist in vergaberechtlicher Hinsicht rechtswidrig erfolgt. Nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV kann ein Vergabeverfahren aufgehoben werden, wenn sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert haben. Dabei dürfen die der Aufhebung zugrunde liegenden Umstände für den öffentlichen Auftraggeber nicht vorhersehbar und nicht zu verantworten sein. Vorliegend trägt der AG das Risiko dafür, dass die Umsetzung von ihm gesetzter zwingender Vorgaben für den Einsatz von Unterauftragnehmern tatsächlich möglich ist. Für zwingend vom Auftraggeber vorgegebene Unterauftragnehmer folgt daraus, dass grundsätzlich der Auftraggeber dafür verantwortlich bleibt, dass diese dem Hauptauftragnehmer tatsächlich zur Verfügung stehen. Derartige Vorgaben entstammen der dem Auftraggeber obliegenden Definitionshoheit über den Beschaffungsgegenstand, auf die ein Bieter bzw. der spätere Auftragnehmer grundsätzlich keinen Einfluss nehmen kann. Da der AG das somit ihm obliegende Risiko für die vom Nachunternehmer zur Verfügung zu stellenden Flugzeuge gegenüber den Bietern auch nicht ausdrücklich eingeschränkt hat, unterfällt die Verfügbarkeit der Flugzeuge der Risikosphäre des AG und nicht der Bieter.

 

Praxistipp:

Ist eine Aufhebung rechtswidrig, jedoch sachlich begründet, besteht regelmäßig „nur“ ein Anspruch der Bieter auf Ersatz des negativen Interesses, also insbesondere der Angebotserstellungskosten, nicht aber auf Ersatz des entgangenen Gewinns.

 

VK Bund, Beschluss vom 02.08.2022 (Az.: VK 2-64/22)

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