VK Bund: Aufklärung bei Widersprüchlichkeit des Angebots vorrangig vor Ausschluss


Auftraggeber dürfen Angebote, die an formalen Mängeln wegen widersprüchlicher Angaben leiden, nicht vom Vergabeverfahren ausschließen, ohne vorher den Bieter zur Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert zu haben.

 

Sachverhalt
Die Antragsgegnerin (Ag) schrieb in einem nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb verteidigungs- und sicherheitsrelevante Bewachungsleistungen aus. Die Antragstellerin (ASt) wurde im Teilnahmewettbewerb ausgewählt und zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert. Die in diesem Zusammenhang übermittelten Vergabeunterlagen enthielten u.a. eine Anlage, aus der hervorging, dass in jeder Schicht eine personelle Besetzung durch 4 Wachposten und 1 aufsichtführende Wachperson, mithin durch insgesamt 5 Wachpersonen gefordert war. Als Teil der Angebote waren unter anderem auch die Vorlage eines „konzeptionellen Teils“ sowie Angaben zu den „Qualitätskriterien“ gefordert.

 

In dem konzeptionellen Teil waren unter anderem die „auftragsbezogene Schichtplanmethodik“ sowie ein „auftragsbezogener Monats-Musterdienstplan“ darzustellen. Direkt unter den tabellarisch aufgelisteten Elementen, die im konzeptionellen Teil darzustellen waren, wurde von der Ag angegeben: „Die Ausführungen im konzeptionellen Teil werden durch die Bewertungskommission Qualität einer Schlüssigkeitsprüfung unterzogen. Dabei ist zu beurteilen, ob die Konzepte im Einklang mit den Vergabeunterlagen stehen und in realistischer Weise umgesetzt werden können. Die Nichtabgabe eines Konzepts bzw. unschlüssige Ausführungen führen zum Ausschluss des Angebots…“

 

Mit ihrem Angebot reichte die ASt im konzeptionellen Teil einen Musterdienstplan ein. Aus diesem ergibt sich die Einteilung von jeweils 1 aufsichtführenden Wachperson und 3 Wachposten in jeder Schicht. In einem ebenfalls eingereichten Anhang zum Vertrag ergibt sich aus den dortigen Angaben der ASt, dass sich die kalkulierte Gesamtanzahl der Mitarbeiter aus einer Personalstärke von jeweils 1 Aufsichtführenden und 4 weiteren Mitarbeitern pro Schicht, also insgesamt 5 Sicherheitsmitarbeitern, errechnet.

 

In Ihrem Informationsschreiben gemäß § 134 GWB teilte die Ag der Ast mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es als unschlüssig bewertet wurde. Denn der von der Ast beigelegte Musterdienstplan enthielte in allen Schichten in der Summe 4 Sicherheitsmitarbeiter, gefordert gewesen seien aber 5 Wachpersonen.

 

Die Ast rügte die Nichtberücksichtigung ihres Angebots mit der Begründung, ein öffentlicher Auftraggeber müsse widersprüchliche Angaben im Angebot aufklären. Die Ag half der Rüge mit der Begründung nicht ab, dass eine Nachforderung fehlender Unterlagen im Ermessen des Auftraggebers stehe und vorliegend wegen zu befürchtender Auswirkungen auf die Kostenkalkulation von einer Nachforderung abgesehen worden sei.

Daraufhin stellte die Ast einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.

 

Beschluss

Mit Erfolg! Der Ausschluss des Angebots der ASt durch die Ag war rechtsfehlerhaft, denn es liege kein Ausschlusstatbestand gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 VSVgV vor, wonach Angebote ausgeschlossen werden, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an der Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. In der Sache gehe es vorliegend um die Frage, ob die ASt insgesamt 5 Personen für die Auftragsausführung angeboten habe oder nur 4. Im letztgenannten Fall wäre der Ausschlusstatbestand verwirklicht, denn die ASt hätte dann anders angeboten als gefordert.

 

Entgegen der Auffassung der Ag sei der Ausschlusstatbestand des § 31 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 22 Abs. 6 VSVgV nicht einschlägig, denn das Angebot der ASt enthielte alle geforderten Unterlagen; ein Fall des Fehlens geforderter bzw. nachgeforderter Nachweise oder Erklärungen liege nicht vor.

 

Unstreitig sei, dass die Ag eine Bewachungsdienstleistung mit insgesamt 5 Personen gefordert habe. Ob das Angebot der ASt von dieser Vorgabe abweicht, sei anhand des Angebotsinhalts zu ermitteln. Das Angebot sähe auf der einen Seite in dem beigefügten Musterdienstplan eine Besetzung mit 1 Aufsichtführenden und 3 weiteren Sicherheitsmitarbeitern in jeder Schicht vor, also insgesamt 4 Personen. Aus dem Personalkonzept und den dort dargestellten Berechnungen gehe dagegen hervor, dass mit je 1 Aufsichtführenden und 4 weiteren Mitarbeitern pro Schicht kalkuliert wurde, also mit insgesamt 5 Mitarbeitern. Damit sei das Angebot als in sich widersprüchlich anzusehen, denn sowohl der Musterdienstplan als auch das Personalkonzept seien relevante Bestandteile des Angebotes.

 

Die Widersprüchlichkeit im Angebot der ASt ließe sich nicht durch Auslegung, §§ 133, 157 BGB, beseitigen. Aus der Diskrepanz der Angaben in beiden Teilen ergäbe sich der Widerspruch im Angebotsinhalt. Der Musterdienstplan der ASt könne daher im Zusammenspiel mit den anderen Angebotsbestandteilen nicht dahingehend ausgelegt werden, es sei eigentlich eine Besetzung mit 5 Sicherheitsmitarbeitern gemeint.

 

Ist ein Angebot aber in sich widersprüchlich, so stelle dies nicht unmittelbar und direkt einen Ausschlussgrund nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 VSVgV dar. Das Angebot bedürfe vielmehr im Fall der Widersprüchlichkeit der Aufklärung. Denn nach der neueren Rechtsprechung dürfe der Auftraggeber Angebote, die an formalen Mängeln wegen widersprüchlicher Angaben leiden, nicht vom Vergabeverfahren ausschließen, ohne vorher den Bieter zur Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert zu haben.

 

Bei einem infolge der Widersprüchlichkeit wahrscheinlichen Eintragungsfehler oder, wie hier, Versehen bei der Anpassung des Musterdienstplans reduziere sich das Aufklärungsermessen auf eine Aufklärungspflicht. Dem Bieter müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Seiner Pflicht zur Aufklärung widersprüchlicher Angebote könne sich der Auftraggeber auch nicht durch einen entsprechenden Ausschluss in den Vergabeunterlagen entziehen, da sich die Aufklärungspflicht aus dem für das Vergabeverfahren zentralen Wettbewerbsgrundsatz ergäbe.

 

Praxistipp

Auslegung und Aufklärung gehen einem Angebotsausschluss immer vor. Liegt ein wahrscheinlicher Eintragungsfehler vor, so besteht sogar eine Aufklärungspflicht seitens des Auftraggebers.

 

VK Bund, Beschluss vom 23.07.2021 - VK 2-75/21

 

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