OLG Celle: Auslegung des Zuschlagsschreibens

 

Enthält das Zuschlagsschreiben des öffentlichen Auftraggebers die Aufforderung an den Bieter, die Ausfertigung eines Vertrages, welcher nicht Bestandteil der Vergabeunterlagen war, umgehend unterzeichnet zurückzusenden, liegt zivilrechtlich darin eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebots und das Angebot zum Abschluss eines geänderten Vertrages. 

 

Sachverhalt:

Das klagende Land (öAG) verlangt Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages von einer Bieter-/Arbeitsgemeinschaft (ArGe). Es besteht Streit, ob zwischen öAG und der ArGe ein Vertrag über förmlich ausgeschriebene Dienstleistungen zustande gekommen ist. 

 

Mit Zuschlagsschreiben vom 17.03.2015 erklärte der öAG, dass der ArGe der Zuschlag erteilt werde. Mit der Ausführung der Leistung sollte ab dem 01.04.2015 begonnen werden. Es hieß weiter:

Sie werden gebeten, umgehend die anliegenden Schriftstücke unterzeichnet zurück zu senden:

  • Eine Ausfertigung des Vertrags mitsamt Anlagen
  • Mitteilung über die Projektleitung

Das Schreiben wurde „vorab per Fax“ – ohne Anlagen – übersandt. Dem folgend per Einschreiben übersandten Zuschlagsschreiben waren u.a. zwei Vertragsausfertigungen nebst jeweils drei Anlagen beigefügt (wie in dem Kopf des Schreibens angegeben). Die ArGe erhielt den Vertragsentwurf erstmals mit dem Zuschlagsschreiben, dieser war nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen gewesen.

 

Der Bitte um Vertragsunterzeichnung kam die ArGe nicht nach. Dies führte zu Unstimmigkeiten. Der öAG bat am 26.03.2015 per E-Mail um Rückgabe des unterzeichneten Vertrages und die vertragsgemäße Aufnahme der Arbeiten am 01.04.2015. Die ArGe lehnte die Unterzeichnung des „Vertragsvorschlags“ ab. Der öAG erklärte nach Rücksprache mit seiner Rechtsabteilung und der Geschäftsleitung mit Schreiben vom 27.03.2015, eine Unterzeichnung des Vertrages sei nicht zwingend notwendig. Ein Vertrag seit bereits auf Grundlage des Angebots zustande gekommen. Dieser Rechtsauffassung widersprach die ArGe mit E-Mail vom gleichen Tag.

 

Die ArGe wurde antragsgemäß durch das Landgericht zur Zahlung von 488.672,29 € verurteilt. Die ArGe hätte dem öAG die durch eine anderweitige Beauftragung von Sicherheitskontrollen entstandenen Mehrkosten zu erstatten. Das von der ArGE abgegebene Angebot habe die Klägerin durch die Zuschlagserklärung vom 17.03.2015 unverändert angenommen. Hiergegen richtet sich die Berufung der ArGe, mit der die Abweisung der Klage begehrt wird.

 

Beschluss:

Mit Erfolg! Der öAG hat das Angebot der ArGe nicht wirksam angenommen. Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Inhalt die vorbehaltlose Akzeptanz des Antrags zum Ausdruck bringen muss. Das Zuschlagsschreiben des öAG ist nicht als vorbehaltlose Annahme, sondern als neues Angebot anzusehen. Erst das vollständige Zuschlagsschreiben mit Anlagen ist Grundlage für die Auslegung der Willenserklärung des öAG. Diese wurde erst wirksam, als der ArGe das Zuschlagsschreiben mit Anlagen per Post zuging.

Das Angebot der ArGe wurde mit dem Zuschlagsschreiben nicht unverändert angenommen. Es wurde vielmehr ein neues Angebot mit dem Inhalt der übersandten Vertragsausfertigung erteilt. Dabei weicht der Vertragsentwurf von Angebot der ArGe auf Grundlage der Ausschreibungsunterlagen ab. Letztlich brachte der öAG mit der Bitte um umgehende Rücksendung der unterzeichneten Vertragsausfertigung seinen unmissverständlich Willen zum Ausdruck, dass der Vertrag mit dem Inhalt dieses Vertragsentwurfs zustande kommen soll.

 

Es war aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht davon auszugehen, dass der öAG das Angebot der ArGe zunächst einmal vorbehaltlos annehme, um dann sogleich den Abschluss eines Änderungsvertrages anzubieten. Aus Sicht der ArGe sprach nichts dafür, dass es ihr freistünde, den Vertragsentwurf zu unterzeichnen oder der Vertrag bereits mit dem Inhalt des Angebots zustande gekommen sein sollte. Mit dem neuen Angebot des öAG galt das Angebot der ArGe gemäß § 150 Abs. 2 BGB als abgelehnt und war gemäß § 146 BGB erloschen. Daher konnte es durch die nachfolgende Erklärung des öAG nicht mehr angenommen werden.

 

Praxistipp:

Der zivilrechtliche Vertrag kommt bereits mit Zuschlagserteilung zustande, weshalb eine Vertragsunterzeichnung nach Zuschlag grundsätzlich obsolet ist. Ist die Unterzeichnung eines schriftlichen Vertrages notwendig, muss dieser immer in den Vergabeunterlagen enthalten sein und mit diesen bekannt gemacht werden.  So wird sichergestellt, dass dieser wie veröffentlicht geschlossen wird.

 

OLG Celle, Urteil vom 29.12.2022, Az.: 13 U 3/22

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