Prüfung bei unangemessen niedrigem Angebotspreis

21.12.2022: Eine Prüfung muss erfolgen, wenn das Angebot 16 % vom nächsthöheren abweicht, weit unterhalb der Kostenschätzung liegt und der Bieter selbst den Preis seines ersten Angebots mit seinem finalen Angebot unterschreitet.

 

Sachverhalt:

EU-weit ausgeschrieben war die Beschaffung und Inbetriebnahme einer Lichtsignalsteuerzentrale im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb. Der öffentliche Auftraggeber (AG) fordert einen Bieter (B) zur Erläuterung seines finalen Angebotspreises auf, welcher ca. 60 % unter dem eigenen Erstangebot lag, ohne dass sich das Leistungsspektrum geändert oder die Mitbewerber ähnliche Korrekturen vorgenommen hätten. B begründete die Abweichung mit seinem erheblichen Interesse am Auftrag und daher der Verteilung der Entwicklungskosten aus diesem Projekt auf mehrere anderen Projekte, Quersubventionierung, Standardlösungen und entsprechenden Synergien. B wurde daraufhin mit der Begründung ausgeschlossen, dass das Angebot nach § 60 Abs. 3 VgV auszuschließen sei, da u. a. erhebliche preisliche Abweichungen zu anderen Angeboten und das Risiko mangelhafter Leistung bestehen, da erforderliche Aufwände drastisch unterschätzt würden. Es sei zudem unklar, warum diese Synergien gerade zwischen dem Erst- und Zweitangebot entstanden sein sollten. B beschwerte sich vor der zuständigen Vergabekammer. Der eingelegte Nachprüfungsantrag wurde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Bieter mit der sofortigen Beschwerde.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg!

Das OLG Frankfurt kommt in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass der AG vergaberechtskonform eine Preisprüfung durchgeführt und das Angebot des Bieters zu Recht nach § 60 Abs. 1, 3 VgV ausgeschlossen hat. Es sei nicht fehlerhaft, dass der AG entgegen der vorherrschenden Vorgehensweise bei der Ermittlung der Aufgreifschwelle nicht das nächsthöhere Angebot (hier sei eine Abweichung von 10 % bis 20 % ausreichend) mit 100 %, sondern das Angebot des Bieters mit 100 % angesetzt und auf die drastische Reduzierung gegenüber dem Erstangebot abgestellt hat. Beides seien Umstände, die ebenfalls als Bezugspunkte für die Annahme eines Unterkostenangebots in Betracht kommen.

 

Der AG könne den Bezugspunkt für die Frage, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt, frei wählen und die Preisprüfung auf mehrere Gründe stützen. Zudem kommt der Senat zu dem Ergebnis, die Bewertung des AG halte sich im Rahmen des dem AG eingeräumten Beurteilungsspielraums. Unter anderem sei die Beurteilung, der Bieter habe die erhebliche Preisreduzierung nicht nachvollziehbar erläutert, fehlerfrei. So stünden die Ausführungen zu Entwicklungsleistungen und Rückgriff auf Standardlösungen im Widerspruch. Die erwarteten Synergien seien nicht nachvollziehbar erläutert. Der AG habe die Prognoseentscheidung, dass eine ordnungs- und vertragsgemäße Leistung nicht zu erwarten ist, vergabefehlerfrei getroffen.

 

Praxistipp:

Die Entscheidung verdeutlicht, welcher Prüfauftrag wann auf einen öffentlichen Auftraggeber zukommt. Der AG hat einen Beurteilungsspielraum, ob er das Angebot als ungewöhnlich niedrig ansieht oder nicht. Natürlich ist – wie immer – sorgfältig zu dokumentieren. Für die Bieterseite ist wiederum erkennbar, was sie erledigen muss, sofern sie in einem Verfahren hinsichtlich der Angemessenheit des Angebotspreises befragt wird: Schlichte Behauptungen an einem hohen Interesse am Auftrag reichen nicht, um einen Ausschluss zu vermeiden. Es müssen vielmehr sach- und/oder unternehmensbezogene sowie wettbewerbsorientierte Gründe dargelegt werden.

 

OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.07.2022 (Az: 11 Verg 4/22)

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