VK Westfalen: Sektorenauftraggeber sind nicht grundsätzlich privilegiert

Ist der Beschaffungsbedarf eines Sektorenauftraggebers nicht als Sektorentätigkeit einzuordnen, ist das Vergabeverfahren dem allgemeinen Vergaberecht unterworfen.

 

Sachverhalt:

Antragsgegnerin ist ein Versorgungsunternehmen der Wasser- und Energieversorgung tätig. Sie betreibt zu diesem Zwecke unter anderem Netze im Bereich der Wasserversorgung, produziert Wasser in Wasserwerken Wasser und beliefert Kunden mit Wasser und Energie. Beschaffungsbedarf war ein Rahmenvertrag für Postdienstleistungen im Briefversand im Schwerpunkt für die Kommunikation der Antragsgegnerin mit den Energie- und Wasserkunden sowie mit ihren Lieferanten. Die Antragsgegnerin war der Auffassung, dass ein Auftragswert von 428.000 € überschritten sein muss, um die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens auszulösen. Es soll eine Laufzeit vom 01.08.2021 bis zum 31.07.2022 ohne Verlängerungsoptionen vereinbart werden. Der geschätzte Auftragswert belief sich auf über 214.000 €, blieb aber unter 428.000 €. Es wurden zwei Angebote abgegeben.  


Die Antragstellerin beanstandete mit Schreiben vom 01.07.2021 neben anderen Aspekten die unterbliebene europaweite Ausschreibung. Der Beanstandung half die Antragsgegnerin nur geringfügig ab. Nach Ihrer Auffassung sei die ausgeschriebene Leistung Teil der Sektorentätigkeit, der insoweit maßgebliche Schwellenwert von 428.000 € war somit unterschritten.

 

Gegen die Nichtabhilfeentscheidung wurde zunächst keine Nachprüfung beantragt. Es wurde am 14.07.2021 ein Angebot abgegeben und darüber verhandelt. Der Vertragsschluss der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen erfolgte am 28.07.2021. Eine Vorabinformation an die Antragstellerin erfolgte nicht. Die Mitteilung der Nichtberücksichtigung erfolgte erst am 30.07.2021.
 

Mit Schreiben vom 13.08.2021 beantragte die Antragstellerin dann die Nachprüfung. Zugleich beantragte sie die Unwirksamkeit des mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrages nach § 135 GWB festzustellen, wobei sie lediglich zunächst vermutete, dass dieser bereits geschlossen worden sein musste. Neben weiteren Beanstandung ist die Antragstellerin der Ansicht, dass die abgefragten Postdienstleistungen keine Sektorentätigkeit darstellen. Es sei anerkannt, dass auch die Vergabe von Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit originären Sektorentätigkeiten stünden, von den vergaberechtlichen Privilegierungen profitieren könnten. Ein solcher Zusammenhang bestehe zwischen den Postdienstleistungen und der originären Sektorentätigkeit der Antragsgegnerin nicht. Die Versorgung der Allgemeinheit mit Energie und Trinkwasser würde durch den Versand von Briefen nicht ermöglicht, gefördert, gesichert oder erleichtert

 

Beschluss:

Mit Erfolg! Die Antragsgegnerin ist nach Auffassung der Vergabekammer als öffentliche Auftraggeberin und nicht als Sektorenauftraggeberin Verfahrensbeteiligte. Ein öffentlicher Auftraggeber ist dann Sektorenauftraggeber, wenn ein öffentlicher Auftrag im Sektorenbereich vergeben wird. Jedoch sind Sektorenauftraggeber, die Aufträge nicht im Rahmen Ihrer Sektorentätigkeit vergeben, dem allgemeinen Vergaberecht unterworfen. Es findet keine „Infizierung“ aller Tätigkeitsfelder durch die Sektorentätigkeit statt.

 

Vorliegend genügt es auch nicht, dass die Dienstleistungen einen positiven Beitrag zu den Tätigkeiten des Auftraggebers leisten. Die Tätigkeit steht zwar im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit, dies reicht aber nicht aus, um sie dem Sonderrechtsregime zuzuordnen. Die in diesem Verfahren streitgegenständlichen Postdienstleistungen sind für die eigentliche Sektorentätigkeit – die Bereitstellung und den Betrieb von Wassernetzen – anders als Sicherheitsdienstleistungen, Ingenieur- und Reparaturleistungen nicht zwingend notwendig. Es wurde lediglich die Teilorganisation des Kommunikationsmediums Briefverkehr vergeben. Mit der privilegierten Sektorentätigkeit der Bereitstellung und des Betriebs von Wassernetzen ist kein unmittelbarer Zusammenhang gegeben.

 

Praxistipp:

Es ist immer zu beachten, dass die allgemeinen Vergabereglungen die Basis eines jeden Vergabeverfahrens bilden. Die Verwendung von Sonderregelungen zur Vergabeerleichterung sind stets unter Angabe der angewandten Tatbestände zu begründen. 

 

VK Westfalen, Beschluss vom 21.10.2021, Az.: VK 2-41/21

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