OLG Schleswig: Unwirksamkeit eines Auftrags ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung

 
Ist beabsichtigt, nach Zuschlagserteilung ein gesondertes Vertragsdokument zu unterzeichnen, sollte dieses bereits Bestandteil der Vergabeunterlagen sein. Die nachträgliche Formulierung eines Vertragstextes – oder einzelner Passagen des Vertrages – ist subjektiv. Die Auslegungen des Vertragsinhaltes können auseinandergehen.

Sachverhalt:

Ausgeschrieben wurden im Jahr 2011 Busverkehrsleistungen für die Beförderung von Schülern mit Handicap im Rahmen eines offenen Verfahrens. Die Leistungen waren in zwei Lose unterteilt mit Laufzeiten von 4 bzw. 8 Jahren.  Enthalten war eine automatische Verlängerung der Verträge um 2 Jahre, wenn nicht 12 Monate vor Ablauf der Vertragslaufzeit gekündigt wird. Der Zuschlag für die gesamte ausgeschriebene Leistung (beide Lose) wurde an die spätere Beigeladene erteilt.

 

Nach Zuschlagserteilung wurde ein Auftaktgespräch durchgeführt. In diesem wurde u.a. auch eine Änderung des Vertragsentwurfes besprochen. Danach wurde ein Satz hinzugefügt, dass der Vertrag auch nur für einen Schultyp (Los A oder B) gekündigt bzw. fortgeführt werden kann. Ab dem 2. Mai 2011 erbrachte die Beigeladene die ausgeschriebenen Leistungen. 

 

Der angepasste Verkehrsvertrag wurde am 27.07./01.08.2012 unterzeichnet. Dort heißt es in § 10 Abs. 1: „Der Leistungszeitraum beginnt am 02.05.2011. Die beschriebene Verkehrsleistung wird zunächst für das Förderzentrum Sprache (S 4) vier und für die Förderzentren mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung acht Jahre erbracht werden (einschließlich Schuljahr 2014/2015 bzw. 2018/2019). Maßgeblich ist insoweit der 31. Juli. Der Vertrag verlängert sich automatisch um 2 Jahre, wenn er nicht 12 Monate vor Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit gekündigt wird. Die Beförderungsleistungen zum Förderzentrum Sprache (S. 4) bzw. zu den Förderzentren mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung können unabhängig voneinander gekündigt bzw. weitergeführt werden.“

 

Der zuerst auslaufende Vertrag wurde gekündigt und neu ausgeschrieben. Es war eine (ausdrücklich) einmalige Verlängerungsoption von 24 Monaten vorgesehen. Der zweite Vertrag wurde nicht gekündigt. Eine Nachfrage der Antragstellerin zur Ausschreibung der Beförderungsleistungen brachte das Ergebnis, dass eine Ausschreibung erst zum Ablauf einer zweiten Verlängerung des Vertrages im Anschluss an das Schuljahr 2022/2023 vorgesehen war. Mit Schriftsatz vom 30.03.2021 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Schleswig-Holstein ein. Die Verlängerung des Vertrages über den letzten Schultag des Schuljahres 2020/2021 hinaus sei unwirksam. Der ursprüngliche Vertragsentwurf habe eine mehrmalige automatische Verlängerung nicht vorgesehen. Die vorgesehene einmalige Verlängerung sei zum Ende des Schuljahres 2020/2021 abgelaufen. Eine Fortführung des Vertrages stelle eine unzulässige De-facto-Vergabe dar und sei für nichtig zu erklären.

Der Nachprüfungsantrag war nach Ansicht der Vergabekammer begründet. Die Antragstellerin sei durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Leistung weiterhin von der Beigeladenen erbringen zu lassen und kein Vergabeverfahren durchzuführen, in ihren Rechten verletzt. So wurden Verstöße gegen den Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz sowie das Gebot der Gleichbehandlung festgestellt. Die Leistungserbringung nach Ende des Schuljahres 2020/2021 sei durch den im Jahr 2012 geschlossenen Vertrag nicht mehr gedeckt.

Die Fortführung des Vertragsverhältnisses zwischen Antragsgegner und Beigeladener über das Schuljahresende 2020/2021 hinaus war weder durch den 2011 bezuschlagten Verkehrsvertrag noch durch den zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen im Jahr 2012 unterzeichneten Vertrag gedeckt. Der Vertrag sei bezogen auf den streitgegenständlichen Leistungsteil befristet gewesen zunächst bis zum Schuljahresende 2018/2019, nach nicht erfolgter Kündigung bis zum Schuljahresende 2020/2021. Daraus ergebe sich, der Vertrag habe befristet sein sollen. Auch der in Details geänderte, unterzeichnete Vertrag aus dem Jahr 2012 enthalte keine unbefristete Leistungserbringung mit dem lnhalt, dass es sich um einen unbefristeten Vertrag handele, der gegebenenfalls alle zwei Jahre, mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr, durch Kündigung beendet werden könne und anderenfalls fortbestehe.
 

Mit Beschluss vom 04.06.2021 stellte die Vergabekammer somit fest, dass der Antragsgegner den Auftrag ab dem Schuljahr 2021/2022 ohne vorherige Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben habe. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners und der Beigeladenen.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg. Die Vergabekammer hatte das Fehlen eines wirksamen Vertrages für die ab dem 01.08.2021 erbrachten Leistungen der Beigeladenen wie auch der Verpflichtung des Antragsgegners zur Durchführung eines Vergabeverfahrens bei fortbestehender Absicht der externen Erledigung dieser Leistung in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt. Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat (§§ 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB), ohne dass dies aufgrund des Gesetzes gestattet wäre. Die Unwirksamkeit betrifft auch wesentliche Vertragsänderungen öffentlicher Aufträge. Die wesentliche Änderung eines Auftrags darf nicht freihändig erfolgen. Es ist die Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens über den geänderten Auftrag notwendig.  

 

Praxistipp:

Ist beabsichtigt, nach Zuschlagserteilung ein gesondertes Vertragsdokument zu unterzeichnen, sollte dieses bereits Bestandteil der Vergabeunterlagen sein. Das Problem des geschilderten Sachverhalts war die (teilweise) Neuformulierung eines Vertrages nach Abschluss des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung. Die nachträgliche Formulierung eines Vertragstextes – oder einzelner Passagen des Vertrages – ist subjektiv. Die Auslegungen des Vertragsinhaltes können auseinandergehen.

 

OLG Schleswig, Beschluss vom 09.12.2021, Az. 54 Verg 8/21

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