VK Berlin: Nachträgliche Änderungen an den Vergabeunterlagen sind immer möglich

 

Auftraggeber sind bei Wahrung der vergaberechtlichen Grundsätze berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Dies umfasst auch die nachträgliche Vorgabe, dass bestimmte Unterlagen, wie vorliegend das Formblatt zur Stoffpreisgleitklausel, im Falle des Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werden, und das Angebot in diesem Fall auszuschließen ist.

 

Sachverhalt:

Durchgeführt wurde ein EU-weites Verfahren über die Ausführung von Landschaftsbauarbeiten. Der Auftraggeber änderte während der Angebotsfrist (am 17.10.2022) die Vergabeunterlagen. Dadurch wurden sich beteiligende Bieter verpflichtet, weitere Unterlagen mit dem Angebot einzureichen. Dies beinhaltete auch ein von den Bietern auszufüllendes Formblatt über eine Stoffpreisgleitklausel. Im Änderungspaket als auch aufgrund einer Bieterfrage stellte der Auftraggeber klar, dass diese Unterlage für den Fall ihres Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werde. Bieter B lud sein Angebot fristgerecht am 04.11.2022 über die eVergabeplattform hoch, allerdings in einer Fassung vom 26.09.2022. Der Auftraggeber schloss das Angebot des B aus, da diesem Angebot das auszufüllende Formblatt Stoffpreisgleitklausel nicht beigefügt war. B rügte den Ausschluss vor der zuständigen Vergabekammer, mit der Begründung, die Vorlage des Formblatts sei nicht aus der ursprünglichen Ausschreibung erkennbar gewesen, und hätte deshalb nicht nachträglich gefordert werden dürfen. Jedenfalls hätte einem Bieter, der die erst im Laufe des Vergabeverfahrens geforderte Einreichung der Formblätter "erkennbar übersehen" habe, die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, diese nachzureichen.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg. Die Vergabekammer stellt in ihrem abweisenden Beschluss klar, dass Auftraggeber bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB (Transparenz, Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit) grundsätzlich berechtigt sind, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Der vorliegende Nachforderungsausschluss sei von § 16a EU Abs. 2 VOB/A 2019 gedeckt, und zwar auch bei nachträglicher Festlegung, weil die Norm eine solche nicht verbiete. Das Angebot war deshalb wegen Unvollständigkeit zwingend auszuschließen. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag bereits nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB unzulässig, weil der Bieter den vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt habe. Die mit dem Änderungspaket nachträglich aufgestellte Vorgabe sei den Bietern genauso transparent übermittelt worden, wie der Hinweis, dass bei Nichtvorlage das Angebot auszuschließen ist. Diese Konsequenzen hätte ein durchschnittlicher Bieter sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht erkennen können.

 

Praxistipp:

Bieter aufgepasst: Als registrierter Bieter werden Sie zwar über das Vorliegen geänderter Vergabeunterlagen informiert. Es obliegt jedoch den Bietern, die tatsächlichen Änderungen zu erfassen und gegebenenfalls in das abzugebende Angebot einzuarbeiten bzw. ein bereits abgegebenes Angebot zurückzunehmen und ein neues einzureichen. Die Vergabekammer hat in dieser Entscheidung klar formuliert, dass auch eine nachträgliche Vorgabe für den durchschnittlichen Bieter in Bezug auf ihre tatsächlichen wie rechtlichen Auswirkungen erkennbar ist. Eine mögliche Vergaberechtswidrigkeit ist deshalb innerhalb der Fristen des § 164 Abs. 3 Nr. 1 GWB zu rügen.

 

VK Berlin, Beschluss vom 24.01.2023 (Az.: 2-35/22)

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