VK Bund: Überprüfung ungewöhnlich niedriges Angebot – nicht allein Aufgreifschwelle entscheidend


27.07.2023: Der Auftraggeber hat alle für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale einzubeziehen, sofern er solche ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgegeben hat.

Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren in einem offenen Verfahren Bewachungsdienstleistungen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Der Auftraggeber hatte im Preisblatt Kalkulationsgrundlagen vorgegeben. Dazu gehörte auch die Anwendung eines konkret bezeichneten aktuellen Lohntarifvertrags. Nach der Wertung rangierte das Angebot des Bieters B auf Platz eins, dass des Bieters A auf Platz drei. A rügte, der Auftraggeber hätte wegen des ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises des Angebots des B eine Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV durchführen müssen. Der Auftraggeber weist dies mit der Begründung zurück, die Aufgreifschwelle für eine Aufklärung sei nicht erreicht. A wendet sich an die zuständige Vergabekammer.

Beschluss:
Ohne Erfolg. Aber die Kammer stellt klar, dass es bei der Pflicht zur Aufklärung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises nicht nur auf das Vorliegen der Aufgreifschwelle (ist in der Regel der Abstand von mindestens 20% zum nächsthöheren Angebot oder der eigenen Auftragswertschätzung) ankommt. Der Auftraggeber hat bei der Entscheidung, ob ein Angebotspreis ungewöhnlich niedrig ist, einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum. Einbeziehen muss er neben den konkurrierenden Angeboten auch Merkmale des konkreten Auftragsgegenstands, wie in diesem Fall die kalkulationsrelevanten Vorgaben. Ansonsten kann eine Prüfung nach § 60 VgV nicht fehlerfrei gelingen, weil kalkulationsrelevante Aspekte gemäß den Vorgaben des Auftraggebers ohne Grund ausgeblendet würden. Vorliegend hat der Auftraggeber die erforderliche Plausibilitätsprüfung im Nachprüfungsverfahren durch Dokumentation belegt.

Praxistipp:
Der Beschluss der VK Bund ergänzt die bestehende Rechtsprechung zur gebotenen Aufklärung wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises insoweit, dass sich der öffentliche Auftraggeber nicht allein auf die Feststellung zurückziehen darf, die Aufgreifschwelle sei nicht erreicht.

VK Bund, Beschluss vom 24.11.2022, Az.: VK 2-94/2
 

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