VK Bund: Vergabeunterlagen korrigiert: Bieter hat sog. „zweite Chance“ auf Grund Gleichbehandlungsgrundsatz!‎


Leiden sämtliche Angebote an gleichwertigen Mängeln und kann das Vergabeverfahren nicht durch einen Zuschlag beendet werden, haben Bieter einen Anspruch auf eine sog. zweite Chance, selbst wenn diese kein Angebot in dem Verfahren eingereicht haben.

Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber (öAG) schrieb für den Bund Wartungsarbeiten über Türen in einem beschleunigten offenen Verfahren unter zulässiger Verkürzung der Angebotsfrist gemäß § 10a EU Abs. 3 VOB/A aus. Vorläufer dieses streitgegenständlichen Vergabeverfahrens war das aufgehobene Verfahren mit identischem Leistungsverzeichnis. Der öAG gab in mehreren Positionen des Leistungsverzeichnisses vor, dass die darin ausgeschriebenen Vollkernplatten einen Durchmesser von 30 mm haben müssten. Im Rahmen des vorgelagerten Vergabeverfahrens wurde insoweit folgende Bieterfrage gestellt: „Die Vollkernplatten sind in dem Durchmesser von 30 mm nicht lieferbar. Können für die Wandbekleidung Vollkernplatten von 15 mm kalkuliert werden?“ Dies bestätigte der öAG seinerzeit und teilte sämtlichen Bietern mit, dass die Platten mit einer Stärke von 15 mm kalkuliert und ausgeführt werden sollen. In dem gegenständlichen Vergabeverfahren stellte die Antragstellerin (ASt) erneut eine Bieterfrage. Die Antwort erfolgte jedoch ausschließlich gegenüber der ASt unter Hinweis darauf, dass die Vollkernplatten mit einem Durchmesser von 15 mm zu kalkulieren und auszuführen seien. Die ASt reichte kein Angebot ein. Vielmehr wendete sie sich mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer und rügte, dass die von ihr gestellten Bieterfragen nicht ausreichend beantwortet worden sind.

Beschluss:
Mit Erfolg! Die ASt obsiegt, gleichwohl, dass diese kein Angebot in dem gegenständlichen Vergabeverfahren eingereicht hat. Auf Grund des in § 97 Abs. 2 GWB verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes hat die ASt einen Anspruch auf eine sog. zweite Chance. Dieser Anspruch greift auch dann, wenn ein Bieter in dem Verfahren kein Angebot eingereicht hat. Nach den Ausführungen der Vergabekammer steht ein solcher Anspruch einem Bieter zu, wenn der öAG das Vergabeverfahren nicht durch einen Zuschlag beenden kann, weil alle Angebote an gleichwertigen Mängeln leiden, die auf der Rechtsfolgenseite zu derselben rechtlichen Konsequenz führen, beispielsweise, dass sie nicht zuschlagsfähig sind, der Auftraggeber nicht zuschlagsfähige Angebote dennoch im vergaberechtlichen Wettbewerb belässt, einzelne Bieter aus einem entsprechenden Grund aber nicht berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung jener Bieter, die dazu führt, dass diese gemäß § 97 Abs. 2 GWB einen Anspruch darauf haben, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt wird. Erforderlich ist mithin, dass die Ausschreibung an einem grundlegenden Mangel leidet, der auch die abgegebenen Angebote infiziert. Damit wird gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Darüber hinaus würden Angebote von Vollkernplatten auf Grund der unveränderten Leistungsbeschreibung mit einem Durchmesser von 15 mm einen Ausschlussgrund wegen Änderung an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2019 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A 2019 darstellen.

Praxistipp:
Auftraggeber sollten dafür Sorge tragen, dass sämtliche Bieter zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens denselben Informationsstand haben. Es liegt mithin im Verantwortungsbereich des Auftraggebers eindeutige Vergabeunterlagen zu erstellen und bei Bieterfragen die Antworten über das E-Vergabe-Portal sämtlichen Bietern zur Verfügung zu stellen. Nicht möglich ist es, das sich öAG auf Antworten zu Bieterfragen aus einem vorgelagerten Verfahren beziehen. Jedes Vergabeverfahren ist – selbst bei inhaltsgleichem Leistungsverzeichnis – isoliert zu betrachten. Selbst für den Fall, dass ein Auftraggeber ein beschleunigtes Verfahren, d.h. ein Verfahren unter verkürzter Angebotsfrist, durchführt, sind die Fristen angemessen zu verlängern, wenn es auf Grund von Bieterfragen zu wesentlichen Änderungen an den Vergabeunterlagen kommt. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn die Bieter auf Grund der Antworten zu den Bieterfragen und den sich daraus ergebenden Änderungen an den Vergabeunterlagen auch wesentlich mehr Zeit für die Erstellung eines Angebots benötigt.

VK Bund, Beschl. vom 13.11.2019 (Az.:VK 2-82/19)

Stand: November 2019

 

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