VK Bund: Vergabeverfahren ohne vorherige EU-Bekanntmachung


Ein Vergabeverfahren ohne vorherige EU-Bekanntmachung darf nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist ausnahmsweise nur dann erlaubt, wenn es wirklich keine Alternative gibt und eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs ausgeschlossen werden kann.

 

Sachverhalt:

Der öffentliche Auftraggeber hat am [...] 2019 einen bereits vergebenen Auftrag EU-weit bekannt gemacht. Er gab an, dass er am [...] 2019 den Auftrag zur Beschaffung einer Röntgenkleinwinkelstreuanlage an B vergeben habe. Diese SAXS-Anlage (Small Angle X-ray Scattering) soll im Bereich der [...]forschung des Auftraggebers eingesetzt werden, um mithilfe von Röntgenstrahlen [...] zu analysieren. In der EU-Bekanntmachung hat der Auftraggeber unter Ziffer II.2.4 das beschaffte Gerät näher beschrieben. Dieses müsse u. a. über einen verfahrbaren Detektor verfügen, der den Umbau bei Wechsel des Probe-Detektor-Abstands obsolet mache, Streuvektoren < 0,025 nm-1 auflösen können sowie über eine "zusätzliche WAXS Option" verfügen. Unter Ziffer IV.1.1 der EU-Bekanntmachung führte der Auftraggeber näher aus, dass er den Auftrag ohne vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb vergeben habe, weil nur B in der Lage sei, den Beschaffungsbedarf zu erfüllen, da die Röntgenoptik und die Strahlstabilität von B patentiert seien. Nachdem A über die Internetseite "[...]" am 20. August 2019 von der Auftragsvergabe an B Kenntnis erlangte, rügte sie am 21. August 2019, dass nicht nur B, sondern auch sie selber die betreffende Anlage hätte liefern können.

 

Beschluss:

Mit Erfolg! Der mit der B abgeschlossene Vertrag ist unwirksam. Die Kammer entscheidet, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV (= Auftrag kann nur von einem Unternehmen erbracht werden, da aus technischen Gründen kein Wettbewerb besteht), kein Vergabeverfahren mit vorheriger EU-Bekanntmachung durchzuführen, nicht vorliegen. Solche Regelungen, die vom Grundsatz abweichen, offene oder nichtoffene, also wettbewerbliche Vergabeverfahren durchführen zu müssen, sind wegen ihrer negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb grundsätzlich eng auszulegen. Dies gilt erst recht für den vollständigen Verzicht auf Vergabewettbewerb, wenn ein öffentlicher Auftraggeber seinen Vergabeentschluss vor Zuschlagserteilung trifft, also überhaupt nicht in den Wettbewerb mehrerer Bieter stellt, sondern mit nur einem einzigen Unternehmen verhandelt; Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung sollen daher "nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen" durchgeführt werden dürfen. Ein solches Verfahren ist nur dann erlaubt, "wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist". Diese Voraussetzungen müssen objektiv vorliegen und sind von demjenigen, der sich auf die Ausnahmevorschrift beruft, also vom öffentlichen Auftraggeber, darzulegen und zu beweisen. Nach Auffassung der Kammer hat der öffentliche Auftraggeber diesen Beweis nicht im erforderlichen Umfang erbracht. Insbesondere war seine Markterkundung im Vorfeld zu oberflächlich. Gespräche hat er nur mit dem beauftragten Unternehmen geführt.

 

Praxistipp:

Ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung darf nur unter "sehr außergewöhnlichen Umständen" durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist nur dann erlaubt, "wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt“ und „der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist". Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen, bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind hoch. Im Rahmen einer Markterkundung sind "ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene", Diskussionen mit anderen öffentlichen Auftraggebern über deren Erfahrungen mit dem Beschaffungsgegenstand sowie Internetrecherchen durchzuführen, um einen vollständigen Wettbewerbsverzicht ausreichend zu begründen.

 

VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 (Az.: VK 1-75/19)

Stand: Dezember 2019

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