VK Mecklenburg- Vorpommern: Erhebliche Kostenüberschreibung als schwerwiegender Aufhebungsgrund


Eine Verfahrensaufhebung ist gerechtfertigt, wenn die vor Durchführung der Ausschreibung erstellte Kostenschätzung vertretbar erscheint und das abgegebene Angebot deutlich darüber liegt.

 

Sachverhalt:

Im EU-weiten Verfahren wurde die Herstellung von Baugruben, Verbau und Tiefgründung inkl. Spezialtiefbau ausgeschrieben. Es gab nur eine Bieterin, deren Preis die Auftragswertschätzung immens überstieg. Das Verfahren wurde aufgehoben mit der Begründung: „Das vorliegende Angebot überschreitet die zur Verfügung stehenden Mittel zzgl. Kosten einer evtl. Neuausschreibung um 129 %. Es ist daher unannehmbar. Folglich ist aus wirtschaftlichen Gründen die Aufhebung erforderlich. Nach Aufhebung erfolgt eine erneute Ausschreibung der Bauleistungen.

 

Die erneute Ausschreibung sollte als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Dies wurde von der Antragstellerin gerügt. Sie machte geltend, dass kein schwerwiegender Grund i.S. von § 17 EU VOB/A vorliege, der die Aufhebung rechtfertigen könne. Die Kostenschätzung sei zu niedrig gewesen. Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab, da die erforderlichen Mittel zu Annahme des Angebots nicht zur Verfügung stünden. Außerdem seien der Antragstellerin mehrere Kalkulationsfehler unterlaufen. Daraufhin wurde die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt.

 

Beschluss:

Ohne Erfolg! Es besteht kein Anspruch der Bieter auf Abschluss eines Vergabeverfahrens mit Zuschlagserteilung.

 

Ein Anspruch auf „Aufhebung der Aufhebung“ besteht allein in dem Fall, dass die Aufhebung in rechtlich zu missbilligender Weise erfolgt. Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass die Antragsgegnerin die Ausschreibung aufheben durfte. Es lag hierfür ein schwerwiegender Grund i.S. von § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vor.

 

Die Vergabekammer hält die vor Durchführung des Verfahrens erstellte Kostenschätzung der Antragsgegnerin innerhalb des gegebenen Überprüfungsmaßstabs für vertretbar. Daher ist eine Verfahrensaufhebung gerechtfertigt, wenn ein abgegebenes Angebot deutlich darüber liegt. Die Kostenschätzung des Auftraggebers muss vertretbar und mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt worden sein. Die angewandte Methodik der Kostenermittlung muss geeignet sein, voraussichtliche Marktpreise zu schätzen. Es kann nicht pauschal festgelegt werden, wann eine erhebliche Überschreitung der Kostenschätzung vorliegt. Zu berücksichtigen sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Die Rechtsprechung zu diesem Thema variiert erheblich und geht von einer Überschreitung von 10 % bis hin zu 50 % aus. Im vorliegenden Fall liegt die Überschreitung bei 129, 8 %.

 

Praxistipp:

Die Auftragswertschätzung ist nachvollziehbar zu dokumentieren. Es muss erkennbar sein, wie die der Schätzung zu Grunde liegenden Preise ermittelt wurden. Der erwartbaren Preisentwicklung am Markt sollte immer mit einem Kostenpuffer Rechnung getragen werden. Je nach Art des Beschaffungsbedarfs sind auch Faktoren zu berücksichtigen, welche Einfluss auf die Kostenentwicklung haben können (z.B. Altlastenentsorgung bei Altbausanierung).

 

VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.06.2021, Az.: 3 VK 9/20

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